Interview mit Ophelia Nick und Martin Hofstetter

Nach der öffentlichen Podiumsdiskussion hatte unsere Redakteurin Gelegenheit, Ophelia Nick (BMEL, 3. v.r.) und Martin Hofstetter (Greenpeace, r.) einige Fragen zu stellen

„Diese Ehrlichkeit kann man mittlerweile aussprechen“

Interview Jutta Langenbach

AGA    Herr Hofstetter, was genau meinten Sie mit Ihrer Aussage „Die Tierhaltung schafft sich selber ab“?

Hofstetter     Über einen langen Zeitraum stand an erster Stelle in den Agrarberatungen, Tierhalter müssten mehr produzieren, effizienter sein und Kosten senken, um auf den Märkten konkurrenzfähig zu sein. Jetzt wird deutlich, dass diese Form der Tierhaltung an Grenzen stößt, an ökologische Grenzen, an Klimagrenzen und auch an gesellschaftliche Akzeptanzgrenzen. Außerdem führt die Überproduktion zu einem Marktpreisverlust, der desaströs ist für die Tierhalter. Jetzt gilt es, sich neu aufzustellen und uns die Frage zu stellen: Wie viel Tierhaltung brauchen wir eigentlich noch, in welcher Form ist das sinnvoll und auf welchen Höfen sollte sie praktiziert werden, in welchen Regionen und Strukturen. In dieser Phase befinden wir uns gerade und die Antworten müssen wir schnell finden. Ansonsten brechen uns die Betriebe einfach weg, ungeordnet. Und das ist auch nicht im Interesse von Umweltverbänden. Wenn Fleisch und Milchprodukte konsumiert werden, wollen wir ja, dass die Produktion hier geschieht. Deshalb finde ich den Vorschlag der Borchert- Kommission gar nicht so schlecht, sich die Frage zu stellen, was wir für den Umbau der Tierhaltung brauchen und parallel ein Weniger garantieren mit mehr Platz für die Tiere und zu Preisen, die wirtschaftlich tragbar sind.

Frau Nick, von vielen Seiten wird Kritik am neuen Tierhaltungslabel geäußert. Warum gibt es überhaupt noch die Haltungsstufe 1 und warum gilt es nur für Schweinefrischfleisch?

Nick     Unser Ziel war, aus dem freiwilligen Label ein verbindliches zu machen. Mit unserem Gesetzesentwurf wollten wir die Tierhaltung nicht bewerten, sondern einfach eine Beschreibung des Ist-Zustandes vornehmen. Der Konsument kann sich dann das Produkt aussuchen, wie er es möchte. Was ganz wichtig immer dazu zu sagen ist: Der Umbau der Tierhaltung unterliegt sicher auch der Tierhaltungskennzeichnung, doch da müssen andere Faktoren dazu. Wir müssen das Baurecht ändern, wir müssen an die Emissionen ran, aber ganz wichtig: wir müssen die Finanzierung ändern. Ab einer gewissen Grenze Tierwohl, das regelt der Markt nicht. Deswegen haben wir jetzt den ersten Schritt in der Schweinehaltung in die Wege geleitet..

Müsste es nicht Aufgabe der Politik sein dafür zu sorgen, dass es Fleisch aus Qualzuchten nicht mehr gibt? Die Umsetzung des Tierschutzes dauert viel zu lange.

Nick     Es gibt gerade einen Strukturbruch bei der Schweinehaltung. Ganz wichtig ist, dass wir in der Politik Leitbilder erarbeiten. Unser Leitbild heißt weniger Tiere – besser gehalten. Dabei soll der Landwirt ökonomisch gleichgestellt sein. Wir müssen die Landwirte mitnehmen. Da mit massivem Ordnungsrecht zu kommen würde auch nicht viel bringen, weil wir natürlich auf einem europäischen Binnenmarkt sind. Wir müssen das mit Europa gemeinsam lösen und da hat Deutschland eine ganz klare Stimme.

Gibt es in Brüssel Anzeichen für eine Abkehr vom „Wachsen oder Weichen“ Leitsatz?

Hofstetter     Im Gros hat sich da nichts dran verändert. Man verdient mit Masse natürlich noch Geld, die Schlachthöfe, die Futtermittelindustrie, die Stallbauer. Ob die Bauern am Ende damit Geld verdienen sei mal dahingestellt. Die Gewinner sind natürlich sehr mächtig und machen in Brüssel aktive Politik für dieses System. Wenn das in Deutschland nicht mehr funktioniert, dann gehen sie. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben einen freien Markt.

Nick     Es gibt in Brüssel jetzt die „neue grüne Architektur“, d.h. es gibt nicht mehr fast 70 Prozent der Subventionen auf die Fläche, sondern nur noch 30, etwa weitere 30 sind für Ökoleistungen, die erbracht werden können. Auf diesem Weg müssen wir weiter vorangehen.

Haben wir denn die Zeit für diese mühsamen Prozesse? Die neue Studie liegt ja vor, Herr Hofstetter. Sie zeigt uns, wie es gehen kann.

Hofstetter     Beim Klima können wir uns die Vorgehensweise nicht leisten. Das darf man nicht dem Markt überlassen. Wir brauchen von politischer Seite Protagonisten, die eine Halbierung der Tierhaltung fordern. Das wird hart für die Wirtschaftsräume, die davon leben. Es ist fair, den Landwirten zu sagen, dass sich die Märkte ganz neu aufteilen und sortieren werden und sie mit anderen Produkten Geld verdienen müssen.

Nick     Diese Ehrlichkeit kann man mittlerweile aussprechen. Weniger Tiere halten, das wird in keiner Bauernverbandstagung mehr infrage gestellt

Hofstetter     Es müssen klare Ziele definiert werden. Beispielsweise, dass Milchkühe Weidegang haben müssen. Dann hat der Landwirt auch Planungssicherheit.

Nick    Der erste Schritt ist mehr Transparenz, die haben wir mit der Tierwohlkennzeichnung geschaffen und werden mehr Geld in die Hand nehmen, um diese zu erweitern. Ordnungsrecht steht bei uns nicht an erster Stelle, dennoch wird dieses auch zum Einsatz kommen zur Abschaffung gewisser Haltungsformen, die den Tier überhaupt nicht entsprechen.

Hofstetter    Für Milchkühe und Mastbullen gibt es noch nicht einmal Regelungen für die Haltung. Das ökonomisch wichtigste Tier ist nicht geregelt. Wenn sich Tierschutzorganisationen mal der Bullenmast annehmen, wird der Druck enorm werden. Wir verabschieden uns seit 30 Jahren von der ganzjährigen Anbindehaltung. Es steht im Koalitionsvertrag! Wir werden die Entwicklung kritisch begleiten.

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Dr. Ophelia Nick, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, ist Mitglied der Grünen.

Martin Hofstetter ist Agrarökonom und Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace Deutschland.