Ernährungswende. Was ist zu tun?

Das Orga-Team mit den Teilnehmer:innen der Schlussveranstaltung (Foto mh)

Spannende Witzenhäuser Konferenz zur Zukunft unserer Ernährung

Die 29. Witzenhäuser Konferenz hat sich unter dem provokanten Titel „Verzehrswende jetzt – Weg mit dir, du Klima Tier?“ vier Tage lang mit der brennenden Frage beschäftigt, wie sich unsere Ernährung und vor allem die Nutztierhaltung angesichts des dramatischen Klimawandels verändern muss. Ein Organisationsteam von acht Studierenden der Uni Witzenhausen hat ein beachtliches Programm auf die Beine gestellt und namhafte Wissenschaftler*innen gewinnen können.

Während es in den ersten Tagen um Möglichkeiten emissionsarmer Tierhaltung oder gar um eine Landwirtschaft ganz ohne Nutztiere sowie die gesundheitlichen Auswirkungen verschiedener Ernährungsweisen ging, bildete die Podiumsdiskussion „Politische Transformation von Landwirtschaft & Ernährung“ am Samstag den letzten Höhepunkt der Konferenz. Vertreter*innen aus der landwirtschaftlichen Praxis, von NGOs, der Vermarktung und Politik diskutierten darüber, wie diese Transformation gelingen könnte. Die Journalistin und Moderatorin der Veranstaltung Tanja Busse eröffnete die Diskussion mit dem Verweis auf das „Kursbuch Agrarwende 2050“.

Das in Auftrag von Greenpeace erstellte Kursbuch ist als Diskussionsgrundlage für die Entwicklung einer zukunftsfähigen und ökologisierten Landwirtschaft gedacht. Wesentliche Fragestellung ist, unter welchen Bedingungen eine veränderte Landwirtschaft die Bevölkerung im Jahr 2050 ernähren kann. Während Martin Hofstetter (Greenpeace) mit einem „Wir müssen viel radikaler werden“ die Notwendigkeit der Halbierung der Tierzahlen betont und mehr staatliche Regulierung fordert, lehnt Hubertus Paetow, Präsident des DLG und Geschäftsführer eines Ackerbaubetriebes staatliche Regulierung ab. Die Landwirte sollten selber entscheiden können, wie sie die Anforderungen an eine veränderte Landwirtschaft umsetzen. So sei beispielsweise ein Pflanzenschutzverbot innovationsfeindlich, betonte Paetow. Hofstetter fordert dagegen ein Insektizidverbot und die Förderung ökologischen Pflanzenschutzes. Die Krefelder Studie zeige, dass der Artenrückgang am dramatischsten im Agrarbereich sei. „Das Wissen ist da und doch wird es in Bauernverbandskreisen abgestritten“.

Marcus Nürnberger, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Redakteur der „Unabhängigen Bauernstimme“ und Nebenerwerbslandwirt wies darauf hin, dass die AbL schon lange eine regionale Landwirtschaft fordere und hält für deren Umsetzung einen gesellschaftlichen Konsens für unabdingbar.

Leif Balz, Bereichsleiter für Agrar- und Ernährungsthemen der Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) sieht eine deutliche Veränderung im Kaufverhalten, mittlerweile seien mehr als 400 vegane Produkte im Handel und die Nachfrage steige. Doch natürlich werde auch viel Fleisch verkauft. Der Einzelhandel sei keine Ordnungsmacht, diese Steuerung sei Aufgabe der Politik.

Tanja Busse betonte, welch große Hoffnung ein grünes Landwirtschaftsministerium geweckt habe, vor allem den Umbau der Tierhaltung an die erste Stelle der Agenda zu setzen. Die Staatssekretärin im BMEL Ophelia Nick (Grüne) verwies auf Hürden, die die Umsetzung der Transformation verzögerten bzw. verhinderten. Zum einen die Uneinigkeit mit Koalitionspartnern und innerhalb der EU, zum anderen die internationalen Verflechtungen des Marktes sowie starke Lobby-Interessen. Außerdem lehne ihre Partei Zwangsverpflichtungen ab, sondern setze auf den schrittweisen Umbau zu einer ökologisierten Landwirtschaft.

Hofstetter forderte hingegen von der Politik ein Gegenhalten gegen Bauernverbandsinteressen und machte deutlich, dass für langsame Prozesse keine Zeit mehr sei. Er verwies auf die von Greenpeace beauftragte Studie des Öko-Instituts „Planetary Health Diet“, die unter dem Klimaaspekt deutlich macht, was wir erreichen können, wenn wir unsere Ernährung umstellen. Mit der Reduzierung des Viehbestandes um 75 Prozent würden 23 Millionen Tonnen CO2 eingespart und sechs Millionen Hektar Land für den Klimaschutz gewonnen. Außerdem würde eine Verdoppelung oder Verdreifachung des Obst- und Gemüseverzehrs erheblich zu einer gesünderen Ernährung beitragen.

Die Studie belegt, dass die Transformation die Ernährung von 70 Millionen Menschen sicherstellt. Um die gesetzlich verankerte Klimaneutralität bis 2045 erreichen zu können, bedarf es einer radikalen Ernährungswende, so Hofstetter. Auch Marcus Nürnberger appelliert: „Wir haben die Zeit nicht. Wo ist das Leitbild der Politik 2030?“

Nach der Podiumsdiskussion hatte unsere Redakteurin Gelegenheit, mit Ophelia Nick und Martin Hofstetter ein Gespräch zu führen. Nachgefragt

 

Quellen:

https://www.greenpeace.de/publikationen/Gesundes%20Essen%20für%20das%20Klima_0.pdf

https://www.greenpeace.de/publikationen/kursbuch-agrarwende-2050