Der Ukrainekrieg und die Agrarindustrie

Die Ukraine war schon immer die Kornkammer Europas.

Nahrung statt Öko?

Nur wenige Tage, nachdem Putin seinen verbrecherischen Feldzug gegen die Ukraine gestartet hatte, meldeten sich erste Stimmen aus der Agrarpolitik zu Wort. Es waren neoliberale Wirtschaftspolitiker und natürlich auch reichlich Lobbyisten der Agrarindustrie, die die Chance witterten, gegen die verhasste Farm-to-Fork-Strategie (F2F) der EU zu polemisieren.

Ende März konnten sie einen ersten Teilerfolg verbuchen: Entgegen ursprünglicher Planung legte die EU Kommission am 23. März keinen Entwurf für eine Verordnung zur Pestizidreduktion vor. Man wolle zwar am Green Deal festhalten, doch zunächst wurden bestimmte Umweltschutzmaßnahmen außer Kraft gesetzt. Agrarumweltschutz wird Kriegsopfer, titelte die taz.

Die F2F Stratgie steht vor allem für Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion, gesunde Ernährung, Verringerung der Lebensmittelverschwendung. Schon dies passt – natürlich hinter vorgehaltener Hand – den Herrschaften der Lebensmittelindustrie nicht wirklich. Schließlich bedeuten auch verkaufte und dann nicht verwendete Lebensmittel Umsatz und damit letztlich Rendite.

Zur Erinnerung: Die F2F Strategie hat eine Reihe von Leitzielen definiert. Diese sind vor allem 50 Prozent weniger Einsatz von chemischen und „gefährlichen“ Pestiziden, 25 Prozent weniger Düngemittel, 50 Prozent weniger Antibiotika und Ausbau des Öko-Landbaus auf 25 Prozent.

Farm to Fork: Ehrgeizige Ziele und Saboteure

Unschwer nachzuvollziehen, dass dies das angestammte Geschäftsmodell stört. „Es scheint grotesk, angesichts dieser weltpolitischen Lage auf Produktivität in der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln per Verordnung oder Gesetz zu verzichten“, ließ der Präsident des Bundesverband Agrarhandel e.V. verlauten.(1) Und meinte damit natürlich Mineraldünger, Pestizide aber auch Flächenstilllegungen. Gero Hocker, agrarpolitischer Sprecher der FDP Fraktion im Deutschen Bundestag, blies ins gleiche Horn und verkündete, die EU-Pläne zum „Verzicht auf Pflanzenschutz“ und auch die „Ausweitung des Ökolandbaus“ seien „fahrlässig“.

Und so ließen sich nun eine ganze Reihe Stellungnahmen wiedergeben, alle mit dem gleichen Tenor. Barbara Otte-Kinast (CDU), niedersächsische Landwirtschaftsministerin, erklärt, es dürfe auch hinsichtlich der Flächenstilllegungen keine „Denktabus“ geben. Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, fordert u.a. „verlässliche Rahmenbedingungen“ für Biogas und Biokraftstoffe.

Spätestens hier muss man hellhörig werden. Versorgungssicherheit und Biokraftstoffe? Was muss hier für wen gesichert werden? Schauen wir auf die Fakten. Die sind zunächst mal recht einfach.

Fakt 1: Die Zahl der Tiere in der deutschen Landwirtschaft muss deutlich reduziert werden. Weit mehr als die Hälfte (!) unseres Getreides landet in den Futtertrögen. Deutschland ist einer der größten Schweinefleischexporteure weltweit. Auch Tönnies & Co. mach(t)en gute Geschäfte mit Russland.

Fakt 2: Ernährungssicherheit statt Ökolandwirtschaft ist eine verhängnisvolle These. Mehr pflanzliche Ernährung (siehe Fakt 1) gleicht vieles aus. Und: Der fortschreitende Verlust der Biodiversität und auch der Verlust von Humus (u.a. durch intensive Bodenbewirtschaftung mit Kunstdüngern) ruiniert mittelfristig die gesamte Landwirtschaft. Wir brauchen stattdessen eine regenerative Bodenbearbeitung. Ohne Insekten und ohne fruchtbare Böden funktioniert auch die konventionelle Landwirtschaft nicht.

Fakt 3: Wir haben eine Klimakrise. Dazu gehört auch die Wasserknappheit, aktuell etwa in Spanien und Portugal. Selbst wenn der Ukrainekrieg – hoffentlich sehr bald! – beendet sein wird, ist die Klimakrise immer noch da. Deshalb müssen weiterhin alle sinnvollen Maßnahmen wie z.B. die Vernässung von Mooren als wichtiger CO2-Speicher weiterhin gefördert werden und Flächen stillgelegt werden.

Fakt 4: Brot für die Welt von deutschen Äckern ist eine Illusion. Hunger ist nicht die Folge von Lebensmittelknappheit. Vielmehr sind Menschen weltweit durch Armut, Kriege oder anderweitig fehlendem Zugang zu Nahrungsmitteln zum Hungern verdammt. Und zudem: Globale Konzerne wie Nestle oder Unilever haben in Afrika wenig Segensreiches zur Bekämpfung des Hungers getan bisher, wenn sie ihre Industrieprodukte in die Märkte drückten und lokale, bäuerliche Strukturen zerstörten.

Fakt 5: Ackerflächen werden nicht nur in Deutschland in hohem Maße für den Anbau von Energiepflanzen verwendet. Nur ein gutes Viertel aller Landwirtschaftsgüter wird für Lebensmittel verwendet. In einer Expertenrunde mit Martin Häusling machte Prof. Sebastian Lakner von der Uni Rostock darauf aufmerksam, dass es möglich sei, auch relativ kurzfristig von Agrosprit und Biogas auf Lebensmittelerzeugung zu kommen. (4)

Wer hier weiter forscht, und sei es nur mit einer kleinen Recherche im Internet, merkt schnell, dass in jedem der genannten Bereiche eingeführte Geschäftsmodelle existieren, in denen Milliarden umgesetzt werden. Das macht die aktuelle Diskussion so schäbig. Zunächst hatte der Deutsche Bauernverband seine Solidarität mit den ukrainischen Kollegen betont. Doch schon fordert die COPA/COGECA, der Europäische Bauernverband/Europäische Genossenschaftsverband, dass „alle verfügbaren“ Flächen bewirtschaftet werden dürfen – unabhängig von den Zielen der Farm-to-Fork Strategie. Die industrielle Landwirtschaft wittert Morgenluft, um die ungeliebten ökologischen Ziele und die für sie geschäftsschädigende Nachhaltigkeit zu beerdigen.

Doch nicht alle bäuerlichen Vereinigungen sind so skrupellos. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter erklärt in aller Deutlichkeit: „Unter dem Vorwand der „Ernährungssicherung“ wird vor einer Abhängigkeit bei der Nahrungsmittelversorgung von Staaten wie Russland gewarnt.“ und weiter: „Das halten wir für eine absolut populistische Argumentation, die unsachgemäß und daher unredlich ist“. (2)

Das Umweltinstitut München hat ebenfalls klare Worte gefunden: “Die Agrarindustrie bringt sich in Stellung. Die schreckliche Situation in der Ukraine soll ausgenutzt werden, um wichtige Fortschritte hin zu mehr Nachhaltigkeit zurückzufahren. Das ist nicht nur zynisch, sondern auch vollkommen kontraproduktiv”. (3) (ag)

(1) https://www.wochenblatt-dlv.de/politik/flaechenstilllegung-noch-zeitgemaess-568540

(2) https://www.bdm-verband.de/wp-content/uploads/2022/03/BDM-Presseinfo-Ukrainekrieg-kein-Vehikel-010322.pdf

(3) http://www.umweltinstitut.org/presse/presse-details/aspresse/129/die-agrarindustrie-nutzt-den-krieg-in-der-ukraine-aus-um-oekologische-fortschritte-zu-torpedieren.html

Update

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich gegen Lobbyisten der Agrarindustrie durchgesetzt und im Bundesrat einen Kompromiss ausgehandelt: Auf den ökologischen Vorrangflächen dürfen auch weiterhin kein Dünger und keine Pestizide ausgebracht werden. Ein Beitrag im Tagesspiegel vom 8. April 2022  https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/streit-um-oekologische-vorrangflaechen-cem-oezdemir-setzt-sich-durch/28240486.html

Weitere Links

https://www.martin-haeusling.eu/presse-medien/pressemitteilungen/2823-krieg-in-der-ukraine-der-einsatz-unserer-agrarressourcen-gehoert-hinterfragt.html

Schon am 3. März berichtete die taz: Krieg als Argument gegen Biolandbau
https://taz.de/FDP-nutzt-Ukrainekrise-fuer-Agrarpolitik/!5838984/

Pressemitteilung der Grünen/EFA im Europaparlament vom 29.3.2022: CDU/CSU operiert vorsätzlich mit irreführenden Zahlen

(4) Welche Auswirkungen hat der Ukrainekrieg auf die Landwirtschaft in Europa und darüber hinaus?
Aufzeichnung einer Online-Veranstaltung (90 min.) am 9.3.2022 mit Martin Häusling, Dr. Ophelia Nick, Dr. Christine Chemnitz, Prof. Sebastian Lakner, Hannes Lorenzen
https://www.youtube.com/watch?v=bCV0CDc-oI0

Zusammenfassung der Veranstaltung in einer Pressemitteilung

Der Deutschlandfunk bringt ebenfalls einen Beitrag mit dem Titel „Wie schnell kann die globale Landwirtschaft auf den Ukraine-Krieg reagieren?“ Es kommen dort der Agrarökonom Matin Qaim zur Wort, der die F2F-Strategie für weitgehend obsolet hält aber auch Friedhelm Taube von der Uni Kiel, der diesen Ansatz widerlegt. Dazu ein Interview mit Ophelia Nick und einer gegen Ende unfreundlichen Redakteurin.