Tierwohl-Marketing

Mehr Tierwohl liegt im Trend. Doch wer verdient daran?

 

Der Lebensmitteleinzelhandel hat das Tierwohl für sich entdeckt. Das ist kein Zufall, denn die Nachfrage nach Tierwohl-Produkten steigt ständig. Neben Fleisch sollen zukünftig auch Milch und Milchprodukte mit der Haltungsformkennzeichnung Stufe eins bis vier versehen werden. Für die Händler ist das ein geeignetes Marketinginstrument. Ihre Versprechen sind meist weit hergeholt, mit tollen Logos versehen und fern der Realität. Die Bauern, die zwischen den Stühlen von Handel und Weltmarktpreisen sitzen, sind dabei die Verlierer.

Wie kürzlich bekannt wurde, haben Vertreter von Handel, Bauernverband und Molkereien ganz partnerschaftlich über eine Tierwohl-Prämie für die Milcherzeuger verhandelt. Zuvor hatte das Gremium einen Katalog mit einem Dutzend Tierwohl-Kriterien zusammengestellt, Wissenschaftler ermittelten dafür die Mehrkosten. Die Berechnungen ergaben 3,2 Cent pro Liter Milch. „Zu viel“, sagte der Handel und so strich man ein Tierwohl-Kriterium nach dem anderen heraus, bis schlussendlich ein armseliger Aufschlag von 1,2 Cent pro Liter Milch für die etwas bessere Haltungsstufe 2 blieb. Dafür bekommen die Kühe etwas mehr Bewegungsfreiheit.

Jahrelang verharrte die Milchindustrie in dem Irrglauben, sie könne sich der Kritik über schlechte Haltungsbedingungen entziehen. Aldi kündigte nun an, langfristig nur noch Produkte mit der Haltungsstufe 3 und 4 mit Freiluftauslauf anzubieten. Bereits bis 2024 will der Discounter Milch mit Haltungsstufe 1 komplett aus seinen Regalen verbannen. Auch Lidl wird zukünftig diesem Beispiel folgen und wer demnächst Edeka oder Rewe beliefern will, muss seine Milchkühe mindestens auf die Haltungsformstufe 2 umstellen. Der Tierschutzbund begrüßt diese Entwicklung, allerdings müsse zügig auch der Verzicht auf Haltungsformstufe 2 folgen, denn immer noch jede neunte Milchkuh wird in einem Anbindestall gehalten. Auch Kühe in Boxenlaufställen, in denen sie sich zwar frei bewegen können, kennen nur Betonboden, Silage und Kraftfutter. Nur wenige Tiere dürfen raus in die Natur.

Große Werbeversprechen gehören auch bei der weltweit agierenden Molkerei Ammerland zum Marketingkonzept. Das Unternehmen, das mit nachhaltiger Milcherzeugung, fairen Bedingungen und hohen Tierwohl-Kriterien wirbt, entschied sich vermutlich aus Imagegründen, ein Weidemilchprogramm aufzulegen und motivierte Landwirte, mitzumachen. Mindestens an 120 Tagen im Jahr müssen die Kühe dafür sechs Stunden täglich auf der Weide verbringen. Vor einem Jahr erhöhte man die Preise für diese Weidemilch um 10 Cent pro Liter, denn die Anforderungen an eine moderne Landwirtschaft würden steigen, so Ammerland. Dieser Preisaufschlag komme nach dem Genossenschaftsprinzip den Milchbauern zugute, kann man auf der Homepage der Molkerei lesen. Was man dort allerdings nicht lesen kann, ist dass gerade einmal 0,1 Cent davon tatsächlich bei den Erzeugern ankommt. Der Mehrerlös fließt in das Unternehmen.

Allein die gentechnikfreie Fütterung für die Weidemilch kostet die Landwirte rund 2 Cent mehr pro Liter Milch und mehr als einen Futteraufschlag erhalten sie für die Weidemilch nicht. So weit so „fair“. Auch Lidl füllt die Ammerland Weidemilch als Eigenmarke ab und verkauft sie noch einmal 40 Cent günstiger als das Original. Gerade mal 2 Cent pro Liter mehr im Einkauf ist dem Discounter die Tierwohl-Milch wert. Dabei betont man gerne, Landwirte könnten sich auf Lidl als Partner verlassen. Verlässt man sich auf jemanden, der in erster Linie auf die eigenen Profite schaut, kann das in einem Desaster enden.

Die Luft für Landwirte wird dünn. Sie sehen eine Flut von Kosten auf sich zukommen und fürchten um ihre Existenz. Der Preisdruck der Handelskonzerne sei schuld an ihrer Schieflage, denn rund 85 Prozent der Lebensmittelumsätze machen die großen Einzelhandelsriesen unter sich aus. Hinzu kommt, dass der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) den Umbau der Landwirtschaft vorantreiben will und auch Brüssel droht Deutschland weiterhin mit Strafzahlungen wegen zu hoher Nitratwerte.

Darüber hinaus ist der Einfluss des Weltmarktes für Landwirte inzwischen eine unkalkulierbare Variable. In der Vergangenheit wurden in Deutschland rund zwei Drittel Fleisch und Milch für den Export produziert. Man verließ sich auf die schier unermesslichen Absatzmöglichkeiten, die sich inzwischen als Luftschlösser erweisen.

Obwohl der Börsenmilchpreis aktuell aufgrund knapper Futtermittel und geringerer Milchleistung davon galoppiert, kommt davon kaum etwas bei den Erzeugern an. Denn die Verträge zwischen Molkereien und Handel wurden meist schon im letzten Herbst abgeschlossen. Im vierten Quartal 2021 brachte jeder Liter Milch den Landwirten ein Minus von 8,4 Cent ein. Bei einer durchschnittlichen Milchleistung von 560.000 Liter im Jahr bedeutet das einen finanziellen Verlust von etwa 47.000 Euro.

Milcherzeuger sind der Auffassung, Preisabsprachen seien zwingend erforderlich, um ihre Einkommen zu verbessern. Dafür legten Vertreter der deutschen Milcherzeuger im Agrardialog Milch dem Bundeskartellamt ein Konzept zur Stabilisierung des Milchpreises für Landwirte vor. Im Kern ging es um verabredete Preisaufschläge, die vom Milchbauern bis ins Milchregal durchgereicht werden. Man wollte die durchschnittlichen Kosten der Milcherzeugung und einen einheitlichen Aufschlag ermitteln, die dann laufend angepasst werden könnten. Den Bonner Wettbewerbshütern ging das zu weit. „Das von Agrardialog vorgestellte Finanzierungsmodell ist kartellrechtlich nicht zulässig“, sagte Kartellamtspräsident Andreas Mundt nach Überprüfung der Modalitäten. Günstige Ausweichmöglichkeiten beim Kauf von Milch und Milchprodukten blieben den Verbraucherinnen und Verbrauchern damit versagt. Preisabsprachen würden die Grenzen des Kartellrechts überschreiten.

Mehr als Kosmetik können wir vom Handel nicht erwarten. Es gibt keine großen Zugeständnisse hinsichtlich der Preisgestaltung für bessere Tierwohl-Kriterien. Für grundlegende Veränderungen braucht es mehr als schöne Werbeversprechen. Mit den Prämien der Privatwirtschaft lässt sich der Umbau der Tierhaltung jedenfalls nicht finanzieren. Nach Berechnungen des bundeseigenen Thünen- Instituts kostet eine deutlich bessere Tierhaltung im Jahr drei bis vier Milliarden Euro. Umgerechnet auf eine Mahlzeit pro Tag, sind das fünf Cent mehr.

Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will der auf Wachstum ausgelegten Entwicklung entgegensteuern, allerdings lässt er bisher noch offen, wie eine Transformation bezahlt werden soll. Zunächst will das Ministerium bis zum Sommer ein verbindliches und leicht verständliches Haltungskennzeichen für tierische Produkte vorstellen. (mk)