Etwa 4.000 Tonnen Glyphosat werden jährlich auf deutsche Felder versprüht.
Keine qualifizierte Mehrheit für Neuzulassung in der EU
Obwohl im EU Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (SCoPAFF) keine qualifizierte Mehrheit erzielt werden konnte, um die von der EU Kommission vorgeschlagene Zulassung von Glyphosat um weitere 10 Jahre zu verlängern, so ist das gesendete Signal an die Kommission deutlich. Wirtschaftliche Interessen von Agrarkonzernen dürfen nicht mehr Gewicht haben, als die Sicherheit für Mensch und Umwelt. Im Sinne von Gesundheit und Artenvielfalt kann es nur heißen: Eine Verlängerung der Zulassung von Glyphosat für weitere 10 Jahre muss unterbunden werden.
Österreich, Kroatien und Luxemburg unterstützten den Vorschlag der EU-Kommission nicht. Deutschland, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Malta und die Niederlande enthielten sich der Stimme. Gemäß den Verfahrensregeln werden Enthaltungen als Nein für die Annahme einer Verordnung gezählt, zur Bildung der qualifizierten Mehrheit gegen den Vorschlag tragen sie aber nicht bei.
Das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) bezeichnet dieses Ergebnis als wichtigen Teilerfolg, zeigt sich aber zugleich enttäuscht von der Enthaltung Deutschlands, die von der FDP aktiv erzwungen wurde. Umweltorganisationen fordern eine klare Positionierung und Einhaltung des Koalitionsvertrages.
Hinter den Kulissen rumort es
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP hat man sich verbindlich darauf geeinigt, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Umweltministerin Steffi Lemke haben dazu eine klare Haltung: Keine Verlängerung. In ihren Ministerien liegt eigentlich dafür die Zuständigkeit. Die FDP-geführten Ministerien für Forschung und Verkehr sehen das offensichtlich anders. Sie befürworten den Vorschlag der EU-Kommission für die weitere Nutzung des umstrittenen Pestizids und wollten in letzter Minute mitbestimmen. Gegen eine klare Position des zuständigen Ministers können die Spitzen der anderen Ministerien ein Veto einlegen. Verkehrsminister Volker Wissing nutze dieses Vetorecht und zwang Cem Özdemir damit zu einer Enthaltung. Die Geschäftsordnung sieht die Stimmenthaltung vor, Özdemir sind die Hände gebunden.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU Parlament, ist genervt von der FDP. Er erklärt, dass es darüber eigentlich keine Diskussion gebe, man habe es klar in den Koalitionsvertrag geschrieben. Er selbst sei an den Verhandlungen zwischen den Ampelparteien beteiligt gewesen. Olaf Bandt, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kritisierte nicht nur die FDP, sondern auch die Sozialdemokraten. Man sei enttäuscht, dass die SPD zu diesem wichtigen Verbraucherschutz- und Umweltthema schweige.
Wenn Frechheit siegt
Ähnliche Differenzen gab es schon einmal. Der ehemalige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hätte 2017 bei der Abstimmung für den längeren Einsatz von Glyphosat aufgrund eines Vetos der Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in Brüssel auch mit einer Enthaltung stimmen müssen. Er verstieß damals bewusst gegen die Geschäftsordnung, votierte für Glyphosat und riskierte einen Eklat. Den Agrarkonzernen verhalf er mit dieser Trickserei zum Sieg. Ohne das deutsche Ja hätte es damals keine Mehrheit gegeben, im Sinne von Gesundheits- und Artenschutz wären wir heute einen Schritt weiter.
Man kennt sich und man hilft sich
Unterstützung für Verkehrsminister Wissing und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger gab es ausgerechnet vom Glyphosat-Hersteller Bayer, der sich nur wenige Tage vor der Abstimmung mit einer Petition an den Bundestag wandte, um das Verbot von Glyphosat zu verhindern. Dass sich ein Unternehmen an das Parlament wendet und mit einer Petition für die Weiterverwendung seiner Produkte wirbt, ist mehr als ungewöhnlich. Bedenkt man, dass Bayer allein mit der Agrarsparte im vergangenen Jahr 25 Milliarden Euro verdiente und Glyphosat einen erheblichen Anteil daran hatte, durchschaut man diese Strategie. Es geht um viel Geld.
Indes macht die FDP ihrem Image als Lobbypartei weiterhin alle Ehre. Da ist es ein Segen, dass sie wieder Teil der Bundesregierung ist. Hier und da ein kleiner Freundschaftsdienst für die mächtige Agrarlobby, als Steigbügelhalter ist man sich offensichtlich nicht zu schade.
Bleiben Sie weiter engagiert
Die Wiederzulassung von Glyphosat ist noch nicht vom Tisch. Der erbitterte Streit geht in eine neue Runde. Nun muss in einem Berufungsausschuss der EU-Länder im November erneut über den Vorschlag der Europäischen Kommission entschieden werden. Das Problem bleibt, dass der Agrarminister, der Deutschland auf EU-Ebene vertritt, nicht kann, wie er will. Frankreich könnte eine entscheidende Rolle spielen. Möglicherweise wird die Kommission den Vorschlag anpassen und eine kürzere Genehmigungsdauer oder strengere Anwendungsauflagen empfehlen. Dafür braucht es wieder eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten. Gibt es auch dann keine Einigung, so hat die Kommission das letzte Wort. Schlimmstenfalls verpassen die Mitgliedsstaaten ihre Chance für mehr Gesundheitsschutz und mehr Artenschutz, sowie für eine krisensichere Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Sich für ein Glyphosatverbot einzusetzen, bleibt also weiter wichtig. (mk)
Foodwatch und die Organisation Campact sammeln in der gemeinsamen Petitionen weiter Unterschriften gegen das umweltschädliche Pestizid:https://www.foodwatch.org/de/mitmachen/glyphosat-verbot-jetzt
Seit Jahren berichten wir auf unserer Webseite in verschiedenen Beiträgen u.a. über die fragwürdigen Zulassungsmethoden, Gesundheitsgefahren, Milliardengeschäfte und die schlimmen Auswirkungen auf die Biodiversität.
Eine Übersicht aller Beiträge: https://aga-nordhessen.de/?s=glyphosat