Tabubruch in der Gentechnik

Die seit 2001 geltenden Regeln zur Gentechnik, die eine Kennzeichnungspflicht für alle gentechnisch manipulierten Lebensmittel zur Grundlage haben, sollen nach dem Willen der Europäischen Kommission aufgeweicht beziehungsweise abgeschafft werden. Das bedeutet, dass alle nach der Neuen Gentechnik (NGT) veränderte Lebensmittel weder kennzeichnungspflichtig sind noch risikogeprüft werden.

Das Gesetzespaket zum „European Green Deal“ soll nach Worten von Kommissionspräsident Frans Timmermans „die nachhaltigere Nutzung von Ressourcen in Pflanzen und Böden“ versprechen. Im Unterschied zur Transgenese (bisherige Gentechnik), bei der fremdes Erbgut in einen Organismus übertragen wird, handelt es sich bei der Mutagenese (neue Gentechnik) um eine Züchtungs-Technik, bei der durch Strahlung, Chemikalien oder Enzyme das Erbgut aufgeschnitten und damit die genetische Ausstattung von Pflanzen und Tieren verändert wird. Die hervorgerufenen Mutationen sollen Pflanzen beispielsweise resistenter gegen Schädlinge und Hitze machen und die Ernährungssicherheit gewährleisten.

So lauten die Versprechungen, doch die grüne Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pläne einen Tabubruch bedeuten. „Auch die sogenannte neue Gentechnik ist und bleibt eine Risikotechnologie mit ungewissem Ausgang und muss sich einem strengen Zulassungsprocedere mit Risikoprüfung unterziehen. In Zeiten, in denen kein Staubsauger ohne Prüfkennzeichen auf den Markt kommen darf und kein öffentliches Gebäude ohne Brandschutzzertifikat abgenommen werden kann, sollte kein Unternehmen und kein Labor mit Freifahrtschein Veränderungen im Genom vornehmen dürfen, deren unbeabsichtigte Effekte nicht beherrschbar sind,“ so Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament. Sollte sich die Gesetzesvorlage durchsetzen, wären Produkte, die mittels neuer Gentechnik erzeugt worden sind, nicht mehr erkennbar. Die Verbraucher könnten dann nicht mehr selbst entscheiden, ob sie Produkte kaufen, die mit oder ohne Gentechnik produziert wurden.

Das Nachsehen hätten biologisch arbeitende Landwirte und Verarbeitungsbetriebe, sie müssten nachweisen, dass sie gentechnikfrei produzieren. Die Folge wäre eine enorme ökonomische und juristische Belastung. Die weitere Entwicklung des Bio-Anbaus, der in Zeiten des Klimawandels dringend nötig ist, würde damit massiv erschwert. Nach Meinung der AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft) wäre es gar „das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft“.

 Profiteure der neuen Pläne sind vor allem Konzerne. Große Saatgut-Unternehmen, allen voran Bayer, können sich dann massenweise Patente sichern. In der Folge wäre Saatgut nicht mehr frei verfügbar und Innovationen in der klassischen Züchtung würden verhindert. „Ich würde es für einen massiven Fehler halten, wenn wir uns bei der Ernährung dieser Welt abhängig machen von einigen, die Patente haben“, kritisiert auch Grünen-Politikerin Renate Künast.  Am Beispiel USA wird deutlich, dass bereits die „alte“ Gentechnik trotz aller gegenteiligen Versprechungen zu einer Erhöhung des Pestizid- und Düngemitteleinsatzes geführt und auch die „neue“ Gentechnik keine entsprechenden Erfolge erzielt hat.

Herbizidresistente Pflanzen zu züchten ist eines der Ziele der Gentechnik. Sie können während des Wachstums gespritzt werden ohne einzugehen. Alle anderen Ackerpflanzen aber reagieren auf das Gift und sterben. Insekten finden also kaum noch Blühpflanzen auf dem Acker. Damit wird das Insektensterben noch befeuert. So hat der Weltbiodiversitätsrat genmanipulierte Pflanzen als mögliche Ursache für den Rückgang der Bestäuber identifiziert. Auch das Bundesamt für Naturschutz hält die Durchsetzung der NGT für gefährlich. Das Einfügen neuer Eigenschaften in eine Pflanze berge immer das Risiko negativer Auswirkungen auf das Ökosystem und die biologische Vielfalt. Da die neue Gentechnologie immer mit Pestizidtoleranz gekoppelt ist, wird der Pestizideinsatz entsprechend zunehmen.

 „Die Suche nach genmanipulierten Pflanzen, die angeblich gegen Trockenheit und Vernässung resistent sind, mehr wertgebende Inhaltsstoffe enthalten oder krankheits- und schädlingsresistent sind, ist eine Sackgasse. Wir brauchen stattdessen eine ganzheitliche Ausrichtung der Landwirtschaft, bei der die Bauern und Bäuerinnen sowie Verbraucher:innen auf eine sichere Lebensmittelerzeugung zählen können.” Mit diesem Statement bringt es Greenpeace auf den Punkt. (JL)

Quellen:

https://taz.de/Gentechnik-Entscheid-der-EU-Kommission/!5942022/

https://www.martin-haeusling.eu/presse-medien/pressemitteilungen/3020-veroeffentlichung-des-gesetzesvorschlags-zu-neuer-gentechnik-leichtmatrosen-im-maschinenraum-der-natur.html

https://www.greenpeace.org/luxembourg/de/presseerklaerungen/18980/greenpeace-fordert-strenge-eu-gentechnikregeln-auch-fuer-neue-gentechnik/

https://www.fr.de/wirtschaft/deregulierung-tbl-neue-gentechnik-eu-entscheidung-landwirtschaft-verbraucherschutz-kritik-zr-92380947.html

https://www.boell.de/sites/default/files/2020-01/WEB_insektenatlas_2020.pdf