Mercosur Abkommen stockt

Mercosur

Neue Verhandlungen über das Mercosur Freihandelsabkommen geraten erneut ins Stocken. Für einen schnellen Abschluss gibt es zu viele Hürden.

So wird das nichts!

Der „Mercado Común del Sur“ (Gemeinsamer Markt des Südens) wurde im März 1991 ins Leben gerufen. Seit mehr als 20 Jahren verhandeln die Gründungsländer Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay mit der EU über ein weitreichendes Handelsabkommen mit dem Ziel, einen gemeinsamen Markt zu schaffen, Zölle abzubauen und den Handel anzukurbeln. Damit würden sie die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen bilden. Rund 90 Prozent der Zölle (etwa in Höhe von vier Milliarden Euro) zwischen der EU und dem Mercosur würden damit abgeschafft werden. Europäische Konzerne, vor allem in der Automobil- oder Chemieindustrie, versprechen sich viel davon, sie fiebern einem raschen Abschluss entgegen.

Im Juni 2019 konnte zwar eine Einigung im Handelspakt erzielt werden, dennoch liegt das Abkommen auf Eis.  Das Vertrauen der EU in die Politik des abgewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ließ zu wünschen übrig, man machte sie für die verheerenden Brände im Amazonas Regenwald mitverantwortlich.

Mit der neuen Regierung in Brasilien wuchs die Hoffnung, dass unter Lula da Silva die Ratifizierung des Abkommens wieder Fahrt aufnehmen könne. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine ist Europas Blick zudem verstärkt nach Südamerika gerichtet, um sich von Russland und China unabhängiger zu machen. Bis Ende des Jahres möchte Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, zum Abschluss kommen. Mit einem Nachtrag will die EU die Einhaltung der Nachhaltigkeits- und Klimaschutzverpflichtungen sicherstellen und Strafen für Nationen einführen, die im Pariser Abkommen von 2015 festgeschriebene Klimaziele nicht einhalten. Diese Zusatzvereinbarung sollte eigentlich Kritiker in den eigenen Reihen beruhigen und alle Bedenken ausräumen. Das Gegenteil ist der Fall.

Die Mercosur-Staaten sehen darin eine Bevormundung, einen Eingriff in Ihre nationale Souveränität. Der amtierende brasilianische Präsident Lula da Silva kündigte derweil an, dass er den Handelspakt in der aktuellen Form mit der Zusatzerklärung keinesfalls unterzeichnen werde. Nach seinem Verständnis sei die Basis gegenseitiges Vertrauen anstelle von Misstrauen und Sanktionen. Auch wolle man kein Abkommen, das Brasilien dazu verdamme, für immer nur Lieferant von Rohstoffen zu sein. Der argentinische Staatschef Alberto Fernández kritisierte, dass die EU eine einseitige Vision präsentiere, weil sie den Fokus zu stark auf den Umweltschutz lege, ohne die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit im Blick zu behalten. Ein angekündigter Gegenvorschlag der Mercosur-Staaten lässt indes auf sich warten.

Spätestens seit dem gerade stattgefundenen Lateinamerika-Gipfel ist der Optimismus verflogen. Wenn es noch in diesem Jahr einen Durchbruch geben soll, stehen noch schwierige Verhandlungen bevor. In Brüssel kommen inzwischen erste Zweifel auf, ob es überhaupt noch eine Einigung gibt.

Die Ifo Handelsexpertin Lisandra Flach warnt, eine schnelle Ratifizierung sei unumgänglich, um nicht noch mehr Boden an China zu verlieren und um die Lieferketten in der EU breiter aufzustellen. China sei schon heute der wichtigste Handelspartner des Mercosur.

Es hagelt Kritik: Nicht nur einzelne Mitgliedstaaten, sondern auch die europäische Zivilgesellschaft und nationale Parlamente, sehen das Abkommen nach wie vor höchst problematisch. Frankreich, Irland, Belgien, die Niederlande und Österreich lehnen den aktuellen Vertragstext ab, sie fürchten vor allem billige Rindfleischimporte und weitere Entwaldung. Auch Umwelt-, Landwirtschafts- und Menschenrechtsverbände machen deutlich, dass die Umsetzung dieses Pakts schwerwiegende Folgen für den Regenwald, das Klima, die Biodiversität und die Menschen- bzw. Arbeitnehmerrechte habe. Das Abkommen benachteilige Südamerika gegenüber Europa stark, es festige ungleiche Handelsbeziehungen statt den notwendigen Umbau der Ökonomien zu fördern. Darüberhinaus würde der Pakt die Agrar- und Mobilitätswende ausbremsen und stehe im Widerspruch zum Pariser Klimaabkommen und dem Green Deal. Die einzige Option wären Neuverhandlungen, heißt es bei Greenpeace.

Mit einem juristischen Trick könnte das Handelsabkommen trotz der Uneinigkeit in Bezug auf Abholzung, Klimawandel und Menschenrechtsverletzungen durchgeboxt werden. Weil es als Assoziierungsabkommen konzipiert ist, kann es nur angenommen werden, wenn alle Mitgliedstaaten der EU einstimmig zustimmen. Jeder Mitgliedstaat kann sein Vetorecht ausüben und auch die nationalen oder regionalen Parlamente in der EU haben das Recht, das Abkommen im Rahmen des nationalen Ratifizierungsprozesses zu billigen oder abzulehnen. Um den Vertrag zu retten, erwägt die EU- Kommission eine Änderung der Verfahrensregeln, d.h. bereits verhandelte umfassende Abkommen können dann in einzelne Bereiche aufgeteilt werden. Dieses Vorgehen, das als „Splitting“ bezeichnet wird, hätte zur Folge, dass der umstrittene Handelsteil nicht mehr einstimmig im Rat beschlossen werden müsste und auch keine Zustimmung der nationalen Parlamente erforderlich wäre. Erwartungsgemäß regt sich gegen dieses Vorhaben der EU-Kommission Widerstand, auch im EU-Parlament. Das Splitting wäre ein Angriff auf die Demokratie und ein Verstoß gegen die Verhandlungsrichtlinien, heißt es. Ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten der Universität Erlangen-Nürnberg bestätigt, dass die Mitgliedsstaaten einer Aufteilung ausdrücklich zustimmen müssten und dafür das Verhandlungsmandat geändert werden müsse, das die Länder 1999 der europäischen Kommission erteilt haben.

Es liegt auf der Hand, dass Mercosur – es wurde vor fast einem Vierteljahrhundert entworfen – nicht die erforderlichen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit liefert. Dieses Abkommen setzt weiterhin auf ein exportorientiertes Agrarmodell, mit dem Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen einhergehen.

Ein Handelsvertrag ist keine Einbahnstraße. Ein modernes Abkommen ist eine Chance, gemeinsam die Klimakrise zu meistern und die wachsende Armut zu beseitigen. Für eine klimaneutrale Wirtschaft in den Mercosur Staaten braucht es einen Neustart und ein faires Abkommen mit einer Partnerschaft auf Augenhöhe. (mk)

https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/waelder/waelder-erde/eu-mercosur-abkommen

https://umweltinstitut.org/wp-content/uploads/2023/05/Zusammenfassung_Rechtsgutachten_Mercosur_Umweltinstitut.pdf

https://www.greenpeace.de/sites/default/files/publications/Rechtsgutachten_Splitting_EU-Mercosur_Greenpeace.pdf?utm_campaign=forests&utm_source=t.co&utm_medium=post&utm_content=single-image&utm_term=20230517-org-eum-splitting