EU-Renaturierungsgesetz nimmt entscheidende Hürde bei der Abstimmung

Bei der Renaturierung spielen Moore – besonders auch für die Kohlenstoffspeicherung – eine zentrale Rolle. Hier das Deutener Moor. (Foto Ulrich H. Hoppe)

Das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restauration Law) ist ein wichtiger Pfeiler des Green Deal und weltweit das erste Gesetz, das eine ganze Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, Natur nicht nur zu bewahren, sondern zusätzlich bereits zerstörte oder geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen. Damit folgt es auch den Beschlüssen der Weltnaturkonferenz von Montreal.

Der Abstimmung im EU Parlament in Straßburg vorausgegangen waren zahlreiche Demonstrationen der Landwirte und verstörende Bilder aus Brüssel beim EU-Ministertreffen. Im Europaviertel kam es noch am Vortag zu eskalierenden Bauernprotesten gegen die Agrarpolitik der EU. Gewaltbereite Landwirte durchbrachen Polizeisperren, setzten Reifen und Strohballen in Brand, schütteten Gülle auf die Straße und richteten Pyrotechnik gegen Einsatzkräfte. Trotzdem hat eine Mehrheit des EU Parlaments nach langem Ringen für das Renaturierungsgesetz gestimmt.

Gerade noch mal gutgegangen

Die konservative EVP, der auch die CDU und CSU angehören, war gegen das Vorhaben Sturm gelaufen und wollte das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur unter allen Umständen kippen. Zu hohe Belastungen für die Landwirtschaft war das Argument. Auch die Agrarlobby machte Druck und sendete klare Anweisungen. Der europäische Landwirtschafts-Dachverband Copa-Cogeca, zu dem der deutsche Bauernverband gehört, forderte in einer E-Mail die EU-Abgeordneten dazu auf, das Gesetz abzulehnen. Bis zum Schluss stand das Gesetz auf der Kippe. Nun hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt. Die Befürworter sind erleichtert. Ein Bündnis zwischen Landwirtschaft, biologischer Vielfalt und Naturschutz sei essentiell.

Druck auf die Ökosysteme verringern

Nach einem Stufenplan müssen bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der Lebensräume von schlechtem in guten Zustand versetzt werden – das entspricht etwa 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU. Natura-2000-Schutzgebiete haben dabei Vorrang. Bis 2040 müssen die EU-Mitgliedsstaaten für 60 Prozent der Habitate, bis 2050 sogar für 90 Prozent geeignete Maßnahmen für die Renaturierung ergriffen haben. Sobald ein guter Zustand in einem Gebiet hergestellt ist, darf sich dieser nicht mehr verschlechtern. Alle Arten von Lebensräumen müssen einbezogen werden, Feuchtgebiete und Moore spielen dabei eine tragende Rolle. Teil der Strategie ist ihre Wiedervernässung, allerdings ohne Verpflichtung für Landwirte und private Landbesitzer, obwohl die Moorrestaurierung die einfachste Methode ist, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu binden und damit den Klimawandel zu bremsen. Hier kommt es also darauf an, diese freiwilligen Maßnahmen durch finanzielle Anreize zu einer attraktiven Option zu machen. Gerade kleine Höfe können Umweltauflagen nur umsetzen, wenn sie dabei finanziell unterstützt werden.

Darüberhinaus soll EU-weit bis 2030 die Pflanzung von mindestens drei Milliarden zusätzlicher Bäume erfolgen und mindestens 25000 Flusskilometer sollen wieder frei fließen können. Hindernisse in Flüssen wie Staudämme und Wehre müssen zurückgebaut werden. In den Städten will die EU zunächst bestehende Bäume und Grünflächen bis 2030 erhalten, danach sollen sie wieder zunehmen.

Die EU überprüft den Zustand von landwirtschaftlichen Flächen anhand von Indikatoren. So soll mit einem Schmetterling- und Feldvogelindex, dem Anteil der landwirtschaftlichen Flächen mit vielfältigen Landschaftsmerkmalen und dem Vorrat an organischem Kohlenstoff in mineralischen Ackerböden Natur messbar gemacht werden.

 Aufgenommen wurden auch neue Vorschriften gegen Umweltkriminalität. Zu den Straftatbeständen gehören unter anderem der illegale Holzhandel, Verstöße gegen die EU-Chemikalienvorschriften und das restlose Aufbrauchen von Wasservorkommen, sowie Meeresverschmutzung durch Schiffe. Umweltdelikte wie großflächige Waldbrände sollen mit hohen Haftstrafen belegt werden.

Hintertür sorgt für Bauchschmerzen

Mit der neuen Version des Gesetzes wurde den Bedenken der Konservativen Rechnung getragen und eine „Notbremse“ aufgenommen, die in Kraft tritt, wenn die Lebensmittelsicherheit aufgrund von Ertragseinbrüchen gefährdet sein sollte. Experten sehen den Naturschutz nicht als Haupttreiber von Knappheiten auf dem Lebensmittelmarkt. Prof. Dr. Sebastian Lakner, Agrarökonom der Uni Rostock, nennt vor allem den Hunger nach Fleisch in den Industrienationen und den Anbau von Biokraftstoffen als Ursachen. Bernd Osterburg, Leiter der Stabsstellen Klima und Boden am Thünen-Institut, betont: „Der ausgehandelte Kompromiss, dass Maßnahmen je nach Versorgungslage auf den Agrarmärkten ausgesetzt werden können, ist kritisch zu sehen. Naturschutz nach Konjunkturlage ist eine schlechte gesellschaftliche Investition. Erst eine Bestäuberpopulation aufzubauen, um ihr dann nach Maßgabe des Getreidepreises den Lebensraum wieder zu entziehen, das kann nicht im gesellschaftlichen Interesse liegen – und auch nicht in dem der Landwirtinnen und Landwirte.“

Hintergrund Artensterben

In den letzten Jahrzehnten sind wir zunehmend mit der Beschleunigung des Verlustes von Lebensräumen und der darin lebenden Tier- und Pflanzenwelt konfrontiert. Das zeigt ein Bericht des UN-Weltbiodiversitätsrats von 2019. Mehr als 80 Prozent der Lebensräume in Europa befinden sich in einem schlechten ökologischen Zustand oder sind zerstört, vor allem wegen der intensiven Nutzung der Meere und Landflächen. Viele  Tier – und Pflanzenarten kämpfen ums Überleben. Der Verlust an Biodiversität ist immer auch mit Folgen für den Menschen verbunden. Nur gesunde Ökosysteme können eine langfristige Ernährungssicherheit gewährleisten, Kohlenstoff dauerhaft binden oder Grundwasser speichern. Darum sollte Natur stets als das begriffen und behandelt werden was sie ist: Die Über-Lebensgrundlage von allen dort lebenden Arten.               

Rückenwind für den Erhalt unserer Natur

Ziel der Renaturierungsmaßnahmen – im Gesetz werden mehr als 30 Beispiele aufgeführt –  ist es, die biologische Vielfalt in allen Ökosystemen zu fördern und sie dadurch widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu machen. Damit sollen Hitzewellen, Dürren, Starkregenereignisse und Überschwemmungen abgemildert werden. Das Gesetz nützt nicht nur der Natur, sondern auch die Bevölkerung und vor allem die Landwirte profitieren davon, weil natürliche Ressourcen geschützt und wiederhergestellt werden.

Prof. Dr. Henrique Pereira, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), ist sich sicher: „Am Ende hängt der Erfolg des Gesetzes von den nationalen Plänen der Mitgliedstaaten ab und davon, wie viel Renaturierung auch außerhalb der Schutzgebiete passiert, um die Konnektivität der Gebiete als Teil eines transeuropäischen Netzwerkes zu erhöhen.“

Nun muss sich erweisen, ob das ausgehandelte Gesetz ausreicht, um die rückläufigen Entwicklungen bei Artenvielfalt und Lebensräumen zu stoppen. Auch wenn deutlich größere Bemühungen erforderlich sind, um unsere Umwelt widerstandsfähiger gegen Extremereignisse der Natur – und Klimakrise zu machen, ist es ein Erste-Hilfe-Paket für die Natur und damit eine gute Grundlage, um Veränderungen in die richtige Richtung anzustoßen. Am Ende enthält es immer noch reichlich Elemente, die große Fortschritte bringen können. Mittelfristig lassen sich gravierende Schäden und Fehlentwicklungen unseres jetzigen Umgangs mit der Natur reparieren.

Was kostet intakte Natur

Vorschläge zur Finanzierung will die EU in spätestens einem Jahr vorlegen, dabei sollen die Mittel aus verschiedenen EU-Töpfen bereitgestellt werden. Die Kommission rechnet vor, dass sich die Investitionen in die Wiederherstellung der Natur ökonomisch rechnen, weil die Vorteile der Renaturierung die damit verbundenen Kosten bei weitem überwögen. Allein die derzeit Jahr für Jahr entstehenden Kosten durch die Verschlechterung der Bodenqualität im Agrarland beziffert die Kommission auf 50 Milliarden Euro – mehr als für die Renaturierung aller Lebensräume im selben Zeitraum benötigt werde.

Wie geht es weiter?

Bis die Renaturierungsmaßnahmen tatsächlich beginnen, wird es noch dauern. Nach der Zustimmung der Mitgliedstaaten haben diese zwei Jahre Zeit eigene Pläne für die Umsetzung zu erarbeiten und nach Brüssel zu übermitteln. Die EU-Kommission wird diese dann bewerten und Verbesserungsvorschläge machen, dafür ist ein halbes Jahr vorgesehen.

Wegweisend für den Erfolg des Green Deal ist die Europawahl 2024. Etwa 80 Prozent der Gesetze in Deutschland haben ihren Ursprung in der EU. Hier können wir dem Natur- und Umweltschutz eine Stimme geben. Das Motto „Augen zu und durch“ muss der Vergangenheit angehören, wenn sich etwas zum Besseren verändern soll. (mk)

https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240223IPR18078/parlament-ja-zur-renaturierung-von-20-der-land-und-meeresflachen-der-eu

Den durch das EU-Parlament am 27. Februar angenommenen Gesetzestext kann man hier nachlesen: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2024-0089_EN.html 

https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/warum-europa-das-nature-restoration-law-braucht/