Klarer Fall: Veganes Hack schneidet besser ab als Tiefkühlpizza. Aber warum lehnen die meisten Hersteller aus der Bio-Branche den Nutri-Score ab?
Zunächst scheint es relativ einfach: Grünes A gut, rotes E schlecht. Und alles so dazwischen eben Na ja. Verbraucherschützer fordern schon länger eine Kennzeichnungspflicht. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ließ vor wenigen Tagen mitteilen, dass er das System verbessern will. Richtig Sinn machen würde es wohl nur bei einer europäischen Einigung, die allerdings in weiter Ferne scheint. Wo sind die Probleme?
Die Ausgangslage ist einfach. Zwei Drittel aller deutschen Männer und ein Drittel der Frauen sind übergewichtig. Das hat viele negative gesundheitliche Folgen und kostet zudem volkswirtschaftlich gewaltige Summen. Also schien die Einführung einer Lebensmittelampel naheliegend: Auf einem Blick erkennen, ob ein Produkt zu süß, zu salzig oder zu fett ist.
Julia Klöckner, seinerzeit Bundesministerin für Ernährung, unterstützte aber lieber die Haltung der Lebensmittelindustrie, die diese Kennzeichnung unbedingt verhindern wollte. (Spiegel.de 29.04.2019). Schon damals ging der Streit darum bereits ein Jahrzehnt lang.
Foodwatch deckte ebenfalls bereits vor Jahren den Skandal auf, dass Klöckner anscheinend ein positives Gutachten eines staatlichen Forschungsinstituts zum Nutri-Score umschreiben ließ. „Bei Frau Klöckner regiert offenbar das Motto: Wissenschaft, die politisch nicht passt, wird passend gemacht“ stellte Luise Molling von foodwatch fest.
Das war und ist skandalös und dennoch mittlerweile weitgehend vergessen. Inzwischen gibt es den Nutri-Score auf freiwilliger Basis, knapp 40% aller Lebensmittelhersteller auf dem deutschen Markt, das sind etwa 570 Unternehmen, beteiligen sich. Verbraucherschützer fordern eine bundesweite Kennzeichnungspflicht. Dabei kommt allerdings auch die EU ins Spiel, und dies bedeutet auch hier, dass erstmal ein zeitintensiver Einigungsprozess durchlaufen werden muss. Wenn es denn eine Einigung überhaupt gibt.
Italien ist eines der Länder, die sich schon länger gegen die EU-weite Einführung der Kennzeichnung wehren. Sie befürchten eine eklatante Benachteiligung für Mozzarella, Parmesan und Parmaschinken im direkten Vergleich. Tatsächlich ist der Vergleich nicht unproblematisch, wie zahlreiche Einzelbeispiele zeigen.
Da kann Cola Light, weil ohne Zucker, Fett und Salz, mit einem grünen B punkten, auch wenn das Getränk keinerlei Nährwert hat. Und selbst Nesquik, ein Kakaopulver, das zu 70% aus Zucker besteht, hat mit C einen guten Mittelwert. Wie geht das? Der Trick ist, dass das Gesamtprodukt bewertet wird. Nestle´ geht einfach davon aus, dass Nesquik in nährstoffreicher, fettarmer Milch angerührt wird, was die Bilanz schon mal erheblich verbessert. Die Bewertung des Nutri-Score machen die Hersteller selbst.
Letztlich wird der Nutri-Score nach einer festen Formel berechnet. Je weniger Zucker, Salz, gesättigte Fettsäuren und Kalorien insgesamt, desto besser die Bewertung. Ein hoher Anteil an Obst, Gemüse, Ballaststoffen und Eiweißen wird ebenfalls positiv bewertet.
Damit Verbraucher:innen auch wirklich vergleichen können, müssen natürlich möglichst viele oder sogar alle Hersteller einer Kategorie teilnehmen. Tiefkühlpizzen sind besonders oft dabei. Doch hier ist ein guter Ansatzpunkt, um die Schwächen des Systems aufzuzeigen.
Gerade die Bio-Branche hat ein Problem mit dieser Art der Kennzeichnung, und das aus gutem Grund. Um bei den Tiefkühlpizzen zu bleiben: Enthalten sie viel Fett, können sie dies zum Beispiel durch einen hohen Tomatenanteil ein Stück weit ausgleichen. Gesund ist das sicher nicht. Fast noch wichtiger aus der Sicht von Ernährungsfachleuten ist aber, dass der Nutri-Score nicht den Verarbeitungsgrad berücksichtigt. Bekanntermaßen sind wenig verarbeitete Lebensmittel deutlich gesünder als hochgradig verarbeitete Fertigprodukte.
Zudem werden Bio-Produkte bei diesem Bewertungssystem benachteiligt, weil Zusatzstoffe wie Emulgatoren, Füllstoffe oder Austauschstoffe wie etwa das umstrittene Aspartam für Zucker im Gegensatz zu konventionellen Lebensmitteln nicht verwendet werden.
Fazit: Für den schnellen und eher oberflächlichen Vergleich von Lebensmitteln bietet der Nutri-Score Anhaltspunkte. Als ausschließliche Empfehlung darf er nicht gesehen werden, da zu viele wichtige Faktoren einer gesunden Ernährung nicht berücksichtigt werden.
Update Juli 2023
Kritischer sieht das die Redakteurin bei geo.de