Unzuverlässige Glyphosat-Studien

Die Studien, aufgrund derer EU-Behörden und deutsche Behörden Glyphosat 2014 für unbedenklich erklärten, sind laut einem österreichischen Toxikologen größtenteils unzuverlässig. Das berichtet das Magazin SPIEGEL in dieser Woche.

2014 erarbeitete das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) einen Bericht über Gesundheitsrisiken von Glyphosat für die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Das BfR beurteilte hierfür Studien, die im Auftrag der Industrie an Versuchstieren durchgeführt wurden. Es stufte Glyphosat als nicht krebserregend oder reproduktionsschädigend ein und empfahl, die Zulassung des Herbizids zu erneuern.

Bis vor zwei Jahren waren die zugrundeliegenden Untersuchungen der Öffentlichkeit nicht zugänglich, da es sich laut EFSA um Geschäftsgeheimnisse der Industrie handeln würde. Infolge eines Urteils des EU-Gerichts in Luxemburg mussten die Industriestudien aber doch zugänglich gemacht werden, da das öffentliche Interesse überwiege. Diese 53 Versuche zur Schädigung des Erbgutes von Versuchstieren, sogenannte Genotoxizitätstests, leitete eine Verbraucherbewegung an den Wiener Toxikologen Professor Siegfried Knasmüller zur Prüfung weiter.

Knasmüller und sein Kollege Armen Nersesyan kommen zu einem gänzlich anderen Schluss als das BfR und die EFSA. Für ihre Evaluation ziehen sie die OECD-Standards heran, die in 2014 galten – was auch von den Behörden zu erwarten gewesen wäre. Sie finden bei 64 Prozent der Studien „deutliche Abweichungen von OECD-Richtlinien, unplausible Daten oder Schlussfolgerungen“ und bei 32 Prozent „moderate methodische Abweichungen von OECD-Standards“, schreibt das Nachrichtenmagazin in seiner Ausgabe vom 3.7.2021. 64 Prozent seien demnach keine zuverlässige Grundlage für die Bewertung von Gesundheitsgefahren und 32 Prozent nur teilweise zuverlässig. EU-Behörden hingegen akzeptierten 85 Prozent der Studien, so der SPIEGEL.

Es bleibt zu hoffen, dass Knasmüllers Veröffentlichung bei der Abstimmung über eine neuerliche Glyphosat-Zulassung berücksichtigt wird. 2022 werden die EU-Agrarministerinnen und -minister darüber entscheiden, ob sie den Einsatz des Herbizids für weitere Jahre genehmigen. Bereits 2017 wurde deutliche Kritik laut an der Zustimmung des damaligen CSU-Landwirtschaftsministers Christian Schmidt zur erneuerten Zulassung (siehe auch AGA-Beitrag: „Ohne Insekten kein Leben“). Bayer hat sich aber selbstverständlich umfassend gewappnet und wird unter anderem neue Genotoxizitätsstudien vorlegen.

Während das Bundesumweltministerium und sogar das Bundeslandwirtschaftsministerium im Juni 2021 davon ausgehen, dass die EU-Abstimmung ablehnend ausfallen wird, betonen Bayer-Manager, dass sie keine Einschränkungen der Glyphosat-Anwendung erwarten. Der Chemiekonzern übernahm  in 2018 Monsanto, den ursprünglichen Hersteller von glyphosathaltigen Produkten wie Roundup. Zur Konzernübernahme gehörten jedoch auch laufende Gerichtsverfahren in den USA, in denen Monsanto – und jetzt Bayer – wegen verschleierter Gesundheitsgefahren auf Milliarden US-Dollar verklagt wird. Eine Einstufung von Glyphosat als krebserregend und genotoxisch könnte herbe Verluste für das Unternehmen bedeuten. (bf)

 

Quellen und weiterführende Informationen

SPIEGEL (2021): https://www.spiegel.de/wirtschaft/glyphosat-zweifel-an-studien-zur-unbedenklichkeit-des-herbizids-a-febc4d1c-0002-0001-0000-000178206314

Tagesschau (2021): https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/glyphosat-279.html

LobbyControl (2015): https://www.lobbycontrol.de/2015/06/efsa-bfr-gefaehrden-unsere-gesundheit-zugunsten-der-industrie/


Kommentar

Es könnte – wenn man die jüngsten Enthüllungen des SPIEGEL vor Augen hat- die Vorlage für eine Satiresendung sein:

Risiken erkennen – Gesundheit schützen

Unabhängige wissenschaftsbasierte Risikobewertung

Wissenschaftliche Exzellenz als Basis für nachhaltiges Vertrauen

Mit diesen Überschriften beschreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf seiner Homepage die Grundlagen seiner Arbeit. Das BfR wurde 2002 im Geschäftsbereich des BMEL gegründet und ist einem „unabhängigen und fortschrittlichen Verbraucherschutz verpflichtet“ (Eigendarstellung).

Und nun kommen die Fakten ans Licht. Das Traurige ist ohnehin, dass Studien für die Zulassung von Chemikalien ganz regulär von der Industrie selbst beauftragt und bezahlt werden. Als würde das nicht reichen, täuscht das BfR über wissenschaftlich eindeutige und methodisch glasklare Mängel hinweg. Die jeweiligen Bundeslandwirtschaftsminister aus der CSU dürften es in all den Jahren wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Die Industrie natürlich auch.

Wirklich herausgekommen ist dies erst, weil die Herausgabe von entscheidenden Gutachten, die als Geschäftsgeheimnis deklariert wurden, vor einem europäischen Gericht erstritten wurde. Man fühlt sich an die Missbrauchsverfahren der katholischen Kirche erinnert – alles wird intern geregelt, Transparenz ist nicht erwünscht. Nur: das BfR ist eine Anstalt des Öffentlichen Rechts. Es ist verdammt nochmal dazu da, uns, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen und nicht das fragwürdige Investment von Bayer in den USA.

Pikant ist auch, dass längst bewiesen wurde, dass in der „unabhängigen“ Gesamtbewertung der BfR seitenweise wörtlich abgeschrieben wurde aus den Industriegutachten. Bravo. Plagiate sind ja gerade ein aktuelles Thema im Bundestagswahlkampf. Wobei es bei wissenschaftlichen Arbeiten ja wohl etwas bedeutsamer ist, korrekt zu zitieren.

Doch wir wollen ja nicht immer nur kritisieren. Beim Besuch der BfR-Webseite am 9. Juli ist auch mal etwas wirklich Wichtiges für uns Verbraucher zu lesen: „Bohnen nur gegart genießen“ ist da unter „Aktuelles“ die Headline. Stimmt: denn der Verzehr von rohen Bohnen führt zu Vergiftungserscheinungen. (ag)

Homepage des BfR