Ohne Insekten kein Leben

Umweltschützer gegen Landwirte: Der Streit um die Insekten tobt seit Jahren, auch zwischen Umwelt- und Agrarressort der Bundesregierung.

Klöckners Vorgänger Christian Schmidt (CSU) hatte im Herbst 2017 mit seiner Zustimmung zur weiteren Zulassung von Glyphosat in der EU eine Verlängerung begünstigt, obwohl nur kurz zuvor die Ergebnisse der „Krefelder Insektenstudie“ bekannt wurden. Basierend auf Zählungen stellten Insektenforscher einen Rückgang von bis zu 80 % der Insektenmasse fest.

Damals wie heute scheut die Politik eine Auseinandersetzung mit der Agrarindustrie. In Bayern erstritten erst die Bürger mit einem Volksbegehren mehr Insekten- und Artenschutz.

Auf Bestreben von Bundesumweltministerin Svenja Schulze brachte das Bundeskabinett vor kurzem ein Insektenschutzgesetz auf den Weg. Es berücksichtigt neben dem Erhalt von Lebensräumen für Insekten und der Eindämmung von Lichtverschmutzung eine Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung und damit ein Glyphosat-Verbot Ende 2023. In Schutzgebieten soll auch der Einsatz vieler anderer Pflanzenschutzmittel untersagt werden, an Gewässerrändern gelten künftig Pestizid-Einsatzverbote.

Die Landwirte laufen Sturm dagegen, der Bauernverband – namentlich dessen Vizepräsident Karsten Schmal – spricht gar von faktischer Enteignung. Umweltschützer hingegen fordern noch strengere Vorgaben, denn ohne Insekten könne der Mensch nicht leben. Insgesamt sind Anzahl und Artenzahl rückläufig, schon in 100 Jahren könnte es keine Insekten mehr geben.

Das kleine Getier ist die Basis für das Funktionieren von Ökosystemen. Als Nahrungsquelle für andere Tiere, zum Erhalt der Bodenqualität und auch für die Landwirtschaft ist es unverzichtbar. Mehr als 85 Prozent aller Pflanzenarten sind von Bestäubung abhängig. Darunter viele Pflanzen, die zur Grundlage der weltweiten Ernährung zählen. Weniger Früchte, Gemüse und Nüsse wäre die Folge, manche Sorten würden sogar ganz verschwinden. Prozesse der Natur und Märkte würden sich verändern, Blüten müssten dann von Hand bestäubt werden.

Die Gründe für das Insektensterben sind vielfältig. Intensive Landwirtschaft, monotone Felder und Pestizide bedrohen Insekten, sowohl ihre Vielfalt als auch ihre Menge nehmen besonders in Agrarlandschaften ab.

Der hohe Stickstoffeintrag in der intensiven Landwirtschaft zerstört artenreiche Ökosysteme. Pflanzen und Gräser, die Stickstoff gut vertragen, verdrängen die für Insekten wichtigen Futterpflanzen. Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft bekämpft nicht nur die Pflanzenschädlinge, sondern tötet auch alle anderen Insekten.

 Dazu zählen auch Neonicotinoide (NNI), hochwirksame Insekten-Nervengifte, deren Verwendung 2018 in Europa untersagt wurde, die derzeit aber wieder in Form einer Notfallzulassung für den Zuckerrübenanbau in NRW eingesetzt werden dürfen. Mit ihnen wird das Saatgut behandelt und mit dem Pflanzenwachstum verteilt sich das Gift bis in Pollen und Nektar und trifft damit nicht nur die gewünschten Zielorganismen.

Auch der Anbau von Monokulturen trägt zum Insektensterben bei. In Agrarlandschaften ohne Kräuter, Blühpflanzen, Hecken und Randstreifen auf den Feldern finden Insekten kaum Nahrung und Lebensraum.  Der Klimawandel  führt wiederum dazu, dass viele Pflanzen früher blühen, wenn manche Bestäuber noch gar nicht munter sind. Futterpflanzen sind nach deren Winterpause bereits abgeblüht und sie finden keine Nahrung mehr. Andere Insekten können vom Klimawandel profitieren und sich stärker vermehren. Durch milde Winter überleben mehr Parasiten und bedrohen Insektenpopulationen. Zusätzlich werden immer mehr Flächen in Deutschland für neue Siedlungen, Verkehr und Gewerbe versiegelt und gehen damit als Lebensraum für Insekten verloren. Laut Umweltbundesamt fallen täglich 66 Hektar Land der Umwidmung zum Opfer – oft auch landwirtschaftliche Nutzflächen.

Der Umweltverband BUND und die Heinrich-Böll-Stiftung mahnen: „Globales Insektensterben muss mit nachhaltiger Agrarpolitik verhindert werden.“

Gemeinsam veröffentlichten die Organisationen einen „Insektenatlas“, der aktuelle Daten zu Nütz- und Schädlingen in der Landwirtschaft zusammenfasst. Dort heißt es: Fällt die tierische Bestäubung weg, „drohen einzelnen Obst- und Gemüsesorten wie Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder Gurken Ernterückgänge bis zu 90 Prozent“.

Wieder wird deutlich, die jahrelang fehlgeleitete Politik ist dafür verantwortlich, dass Landwirte um ihre Existenz fürchten müssen. Der Preisdruck von Agrarindustrie und Handel lässt keinen Spielraum für insektenfreundliches Wirtschaften. Die Lösung liegt nahe und wird dennoch ignoriert: EU Agrarsubventionen müssen eine umweltfreundliche Landwirtschaft belohnen und dürfen nicht länger vor allem an Großbetriebe (oft auch Investmentgesellschaften) und Agrarmultis ausgezahlt werden. Wir brauchen wieder kleinere Äcker, mehr Vielfalt und weniger Ackergifte.


Der Insektenatlas zum Download: https://www.boell.de/de/2019/12/18/insektenatlas

Infos des Bundesumweltministeriums:

https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/aktionsprogramm_insektenschutz_kabinettversion_bf.pdf

https://www.bmu.de/pressemitteilung/schulze-insekten-schuetzt-jetzt-ein-gesetz/


 

Nachtrag

Im Streit um das Insektenschutzpaket kann man sehr schön sehen, wie Lobbyismus funktioniert. Schade, dass der Bauernverband seine Mitglieder aufwiegelt. Gerade beim Thema Neonicotinoide stehen dabei die Wirtschaftsinteressen der Agrar- und Lebensmittelindustrie so offensichtlich im Vordergrund, dass es eigentlich schon peinlich ist. In den ländlichen Ausgaben der HNA (u.a. Fritzlar-Homberger) schaffte es das Thema auf Seite 1.

Da kritisierte Dr. Dominik Risser von der Südzucker AG, dass das Insektenschutzpaket der Bundesregierung den Zuckerrübenanbau in unserer Region gefährde. Risser erklärte gar, es stelle sich die Frage, wie wir zukünftig unsere Gesellschaft ernähren sollten.

Und auch der Hessische Bauernverband erklärt ungeniert, das Aktionsprogramm klammere „wesentliche Ursachen“ aus. Dazu zählten der Klimawandel, Windkraftanlagen, öffentliches Grün, Steingärten und der Einsatz von Insektiziden im privaten Raum.

Übrigens: Der deutsche Bauernpräsident Joachim Rukwied ist Mitglied im Aufsichtsrat der Südzucker AG.

Eine hochinteressante Bewertung von Neonicotinoiden im Zuckerrübenanbau liefert diese Info des Europaabgeordneten und Agrarexperten Martin Häusling (Grüne): https://www.martin-haeusling.eu/images/210217_Haeusling_Briefing_Neonikotinoide_Notfallzulassungen.pdf

Filmtipp

Böden im Burnout – wie Chemie Bienen und Äcker bedroht

In einer spannenden Fernsehdoku zeigt 3Sat, welchen Einfluss die Agrarchemiekonzerne auf die Politik nehmen. Glyphosat kam in den letzten Jahren zu zweifelhaftem Ruhm, doch die Neonicotinoide wurden in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet. Imker, Wissenschaftler, Landwirte kommen hier zu Wort:

https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/210408-boedenburnout-wido-100.html