Tierwohl-Label sind Verbrauchertäuschung

Auch beim Schweinefleisch bringen die Kennzeichnungen bei Weitem nicht das Ausmaß an Tierwohl mit sich, welches sie versprechen. (Foto Deutsches Tierschutzbüro e.V.)

Bei der artgerechten Nutztierhaltung in Deutschland bewegt sich etwas zum Positiven – könnte man meinen. Für diesen Sommer ist bereits letztes Jahr eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht in Form von Tierwohl-Labeln angekündigt worden. Die neu vorgeschriebene Kennzeichnung umfasst fünf Stufen, wobei Stufe 1 („Stall“) die schlechteste Haltungsform nach gesetzlichen Mindestanforderungen bezeichnet und Stufe 5 („Bio“) die beste, artgerechteste Kategorie darstellt. Dazwischen lauten die Bezeichnungen „Stall + Platz“ (Stufe 2), „Frischluftstall“ (Stufe 3) und „Auslauf/Weide“ (Stufe 4) – zu dem Stufensystem vgl. auch bereits unseren Beitrag vom Juli 2022.

Auf den ersten Blick wirkt all das wie ein Gewinn, oder zumindest wie ein Schritt in die richtige Richtung. Schaut man jedoch genauer hin, wird schnell klar, dass so viel Tierwohl in den neuen Tierwohllabeln gar nicht drinsteckt. So gilt die Kennzeichnungspflicht ausschließlich für unverarbeitetes Schweinefleisch: Die Haltung von Milchkühen, Rindern, Legehennen, Masthähnchen sowie von Zuchttieren bleibt von der Regelung unberührt. Importiertes Fleisch ist ebenfalls ausgenommen. Wer noch genauer hinschaut, muss außerdem feststellen: Auch beim Schweinefleisch bringen die Kennzeichnungen bei Weitem nicht das Ausmaß an Tierwohl mit sich, welches sie versprechen.

Prof. Dr. Albert Sundrum, Veterinärmediziner und Agrarwissenschaftler, bezeichnet Label wie die geplanten Aufkleber der Regierung in einem jüngst erschienenen Interview mit foodwatch ganz klar als Verbraucher:innentäuschung. Insbesondere gelte das für die beiden unteren Haltungsformen, die alles andere als tierfreundlich seien. Die Kategorie „Stall + Platz“ etwa bedeutet pro Tier nur 12,5% mehr Platz als vorgeschrieben, was für das einzelne Tier kaum spürbar sein dürfte. Aber selbst die „beste“ Bio-Kategorie kann Sundrum zufolge nicht sicherstellen, dass die Tiere in den zertifizierten Ställen tatsächlich gesünder oder gar zufriedener sind. Auch Tiere aus Biohaltung leiden unter zahlreichen Krankheiten und sind fast genauso häufig (haltungsbedingt) verhaltensgestört wie ihre Artgenossen aus konventioneller Haltung. Vor Krankheiten, die z.B. Folge von Überzüchtung oder dem zu hohen Körpergewicht sind, sind auch Tiere in den vermeintlich besseren Ställen mit mehr Auslauf- und Beschäftigungsmöglichkeiten nicht gefeit.

Sogar der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied hat die geplante Kennzeichnung bereits kritisiert und unter anderem angemerkt, dass mit der geplanten Regelung zum Beispiel Fleisch von importierten Ferkeln, die betäubungslos kastriert wurden, trotzdem mit einem guten Siegel verkauft werden könne.

Von vielen Seiten kam zudem die Kritik, dass die Label am Ist-Zustand der Haltungsbedingungen nichts verbessern. Die Kennzeichnung beschreibt alte Haltungsformen mit neuen Formeln („Stall + Platz“), sieht aber keine maßgeblichen Verbesserungen vor.

Leider handelt es sich bei derartigen Labeln also nur um eine weitere Art, um Konsument:innen das schlechte Gewissen zu erleichtern. Tatsächlich ändern wird sich durch sie praktisch nichts, außer dass Verbraucher:innen mehr Geld ausgeben, ohne dass dieses bei den Landwirtschaftsbetrieben oder Tieren notwendigerweise ankommt. Stattdessen wird der Lebensmittelhandel profitieren.

„Der Hinweis auf ‚Tierwohl‘ ist ausschließlich ein Marketinginstrument“, so Sundrum.  Für ihn ist klar: Solange der Markt die Preise für tierische Produkte diktiert und dabei marketingtechnisch durch staatliche Tierwohl-Label auch noch in ein positives Licht gerückt wird, kann sich am tatsächlichen Zustand von Nutztieren in landwirtschaftlichen Betrieben nicht nachhaltig etwas verändern.

Insgesamt ist es höchste Zeit, dass die Politik endlich das landwirtschaftliche System grundlegend verändert, anstatt die Verantwortung mit kosmetischen Änderungen wieder einmal auf die Verbraucher:innen abzuwälzen. Aufkleber können keine Antwort auf die komplexe Frage nach artgerechter Tierhaltung sein. Tierschutzprobleme müssen direkt, ohne den Umweg über den Supermarkt angegangen werden. Konkrete Unterstützung beim Umbau der Tierhaltung und eine Umstrukturierung des Marktes sind natürlich weniger schnell beschlossen, könnten dafür aber einen echten Unterschied bewirken.

Quellen

https://www.foodwatch.org/de/tierwohl-ist-ausschliesslich-ein-marketinginstrument

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tierwohl-label-deutschland-haltungsform-1.5780935

https://www.agrarheute.com/politik/staatliches-tierwohl-label-kommt-landwirte-tierschutz-ueben-kritik-598957

https://www.tagesschau.de/inland/regional/niedersachsen/ndr-tierwohl-label-verbaende-begruessen-das-logo-als-ersten-schritt-100.html

Kritik kommt von ProVieh per Presseerklärung vom 16.6.2023: https://archive.newsletter2go.com/?n2g=m49jyfk3-c4glwthu-sp1