EU-Agrarreform entscheidet Zukunft der Landwirtschaft

Echte Agrarreform oder kosmetische Korrektur?

Über die EU-Agrarreform wird in Deutschland heftig gestritten. Am Ende steht ein Kompromiss. Der ist Lichtjahre entfernt von einer Abkehr der derzeitigen Subventionspolitik und alles andere als ein Meilenstein, wie Bundesagrarministerin Klöckner mantraartig wiederholt.

Pro Kopf zahlen die Bürgerinnen und Bürger Europas ihren Landwirten im Jahr 114 Euro. Welche Art von Landwirtschaft mit dem vielen Geld in den kommenden Jahren unterstützt werden soll, führt zu Zoff und unerbittlichen Diskussionen. Wenn der europäische Green Deal, der Umbau der Gesellschaft hin zu Klimaneutralität gelingen soll, muss dieses Geld künftig für eine nachhaltigere und ökologischere Landwirtschaft ausgegeben werden.

Ein «nationaler Strategieplan» ist Voraussetzung für alle EU Mitgliedsstaaten, die weiterhin Zahlungen aus dem EU Subventionstopf erhalten wollen. Die EU lässt damit zwar den einzelnen Ländern mehr Freiheiten, sie verlagert aber auch gleichzeitig den Streit, nach welchen Kriterien die finanziellen Hilfen vergeben werden. Die Reform der EU-Agrarfinanzierung soll ab Anfang 2023 greifen und insgesamt sechs Milliarden Euro jährlich an die deutschen Bauern ausschütten. In Deutschland muss der «nationaler Strategieplan» durch den Bundestag und in Teilen auch vom Bundesrat abgesegnet werden. Für Uneinigkeit zwischen Umwelt – und Agrarministerium und den Bundesländern sorgte unlängst die Frage, wie hoch der Anteil der Direktzahlungen sein sollte, der künftig an Umwelt – und Klimaschutzmaßnahmen gebunden ist. Nicht zuletzt auch mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl.

Die EU-Agrarpolitik ist ein Konstrukt aus zwei Säulen. Die erste Säule macht den Großteil der Gelder aus, die anhand der Flächen eines landwirtschaftlichen Betriebs ausgezahlt werden, die Direktzahlungen. Die zweite Säule hält Finanzmittel für den ländlichen Raum vor, meist stehen diese für siebenjährige Programme zur Verfügung, z.B. für langfristige Umweltmaßnahmen. Die Verteilung soll sich mit den nun vereinbarten Quoten ändern.

Die Positionen liegen weit auseinander. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) tut sich schwer, denn sie steht stark unter dem Druck der Landwirtschaftsverbände. Zunächst hatte sie eine 20-Prozent-Quote für die Ökoregelungen und einen Acht-Prozent-Anteil für die Umschichtung in die zweite Säule vorgeschlagen. Ihre Gegner werteten diesen Vorschlag als Versuch, den Status Quo der deutschen Landwirtschaftspolitik zu zementieren. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist überzeugt, die Strategie der Kollegin sei falsch, den Reformwillen sehe sie darin nicht. Schulze betonte, dass sie weiterhin eine Abkehr von den Direktzahlungen anstrebe. Darum schlage sie vor, bei 30 Prozent anzufangen und bis 2027 bei 45 Prozent zu landen. So würden viele Millionen in eine nachhaltigere Landwirtschaft gelenkt werden.

Nach überaus zähen Verhandlungen haben sich die Agrarminister von Bund und Ländern in einer Agrar-Sonderkonferenz auf eine gemeinsame Position zur Umsetzung der EU-Agrarreform geeinigt und dabei offensichtlich die wichtigsten Streitpunkte in Form eines Kompromisses ausgeräumt. Direktzahlungen (aus der ersten Säule) an die Landwirte sollen künftig zu 25 Prozent an Umweltauflagen geknüpft sein. Ab 2023 sollen 10 Prozent der Direktzahlungen in einen zweiten Topf fließen, unter anderem für die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft, Tierwohl und Ökolandbau. Im Jahr 2026 soll der Prozentsatz für die Umschichtung des Geldes in diese zweite Säule dann auf 15 Prozent angehoben werden.

Es kommt also jetzt drauf an, ob sich Klöckner und Schulze auf Basis der Beschlüsse einig werden, damit das Kabinett das nationale GAP-Paket verabschieden kann. Die Umweltministerin kündigte an, die Positionierung des Agrarressorts «sorgfältig prüfen» zu wollen. Sollen die Landwirte weiter Geld aus Brüssel erhalten, muss Deutschland bis Ende des Jahres der EU-Kommission seinen «nationaler Strategieplan» für die Umsetzung der Agrarreform vorgelegt haben.

Die deutschen Agrarministerinnen und -minister der Länder sind immerhin deutlich weiter als ihre Kollegen in Brüssel. Auf EU-Ebene liegen die Agrarministerien der Mitgliedsländer schon seit längerem mit dem EU-Parlament im Clinch. Dabei geht es um die Vereinbarkeit mit dem Green Deal der EU und die Frage, wie viel Geld für Natur – und Umweltschutz umgeschichtet werden muss. Groß angekündigte «Super»-Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und den Vertretern der EU-Staaten sollten den Durchbruch bringen, wesentliche Fortschritte erzielte man allerdings nicht. Offen blieben Streitpunkte wie die Umschichtung zwischen den Säulen und die Deckelung der Direktzahlungen, die verhindern soll, dass einzelne Großbetriebe den Löwenanteil der Fördermittel kassieren. Unklar ist auch, welche ökologischen Bedingungen für die Auszahlung der Agrarsubventionen ab 2023 relevant sein werden. Wie hoch der Anteil der neuen Öko-Regelungen (Eco Schemes) an den Direktzahlungen sein wird, ist weiterhin offen.

Bis zu einer Einigung scheint noch ein weiter Weg. Denn auch wenn Deutschland in den wesentlichen Punkten bereits Einigungen erzielt hat, sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. «In diesem Fall bricht EU-Recht das nationale Recht», sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Die nationalen Pläne müssten nach Abschluss der EU-Verhandlungen im Zweifel angepasst werden. Auch Umweltministerin Schulze geht davon aus, dass der Vorschlag Klöckners sehr wahrscheinlich am Ende nicht mal den europäischen Mindestanforderungen genüge.

Zwar erkenne die Kommission, dass die ökologische Wirtschaftsweise das beste Modell für eine umweltverträgliche Landwirtschaft darstelle, so Häusling, allerdings seien Europas Anstrengungen nicht ausreichend, um die dringend erforderliche Umstellung voranzubringen. Umweltverbänden wie dem Nabu oder dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Lasse van Aken betont, Europa verspiele gerade die größte Chance, die Landwirtschaft für die Zukunft fit zu machen. Brüssel beuge sich dem Druck der Agrarlobby, statt eine echte Agrarwende einzuleiten und ignoriere die Warnungen aus der Wissenschaft und die Hoffnungen und Forderungen der Zivilgesellschaft. Damit ließe man sieben wertvolle Jahre verstreichen, um die drängenden Probleme zu lösen. (mk)

Weiterführende Infos und Links

 

In 65 Sekunden erklärt: Warum die EU-Agrarpolitik extrem wichtig ist.


Interessante Fakten, weiterhin aktuell:

„Der Agrar-Atlas zeigt, dass kaum etwas von den fast 60 Milliarden Euro, die die EU jährlich für die europäische Landwirtschaft ausgibt, für gesunde Lebensmittel, den Schutz von Umwelt, Klima und Biodiversität oder den Erhalt von kleinen und mittleren Betrieben verwendet wird.

Im Gegenteil, von 80 Prozent der Gelder profitieren nur 20 Prozent der Betriebe. Aber der Atlas beweist auch, dass es falsch wäre, die Förderung der Agrarpolitik einfach abzuschaffen. Denn der Umbau zu einer nachhaltigen und global gerechten Landwirtschaft ist nicht umsonst,“ sagt die Heinrich-Böll-Stiftung, die dieses hochaktuelle Kompendium herausgibt.

Kostenloser Download Agraratlas :

https://www.boell.de/sites/default/files/2020-02/agraratlas2019_III_web.pdf?dimension1=ds_agraratlas_2019


„Offizielle Seiten“

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat naturgemäß eine etwas rosigere Sicht auf die deutsche Rolle in der Europäischen Agrarpolitik. Lesenwert für Interessierte sind die folgenden Seiten dennoch (oder gerade deshalb).

GAP-Strategieplan für Deutschland (BMEL)

Alle EU-Mitgliedstaaten müssen für die neue GAP-Förderperiode ab 2021 erstmals einen Nationalen Strategieplan für die 1. und die 2. Säule der GAP entwickeln. Das sieht der im Juni 2018 vorgelegte Entwurf der Europäischen Kommission für eine GAP-Strategieplan-Verordnung vor.

https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/gap/gap-strategieplan.html

Direktzahlungen / 08.01.21

https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/direktzahlung/direktzahlungen.html

Erklärung auf der BMEL-Webseite der Direktzahlungen (1. und 2. Säule)

https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/gap/gap-nationale-umsetzung.html


Campact Petition
Agrarwende statt Agrarwüste

„Die Agrarindustrie spekuliert auf die Fördermilliarden der EU. Jetzt können die Agrarminister*innen der Länder entscheiden, ob die Gelder stattdessen für Klimaschutz und Artenvielfalt fließen. Wir fordern: Agrarwende einleiten – und zwar sofort!“

Zur Petition