Bauernproteste und Marktwirtschaft

Es waren eindrucksvolle Bilder. In klirrender Kälte hielten Landwirte, eingepackt in Decken und am offenen Feuer, die Stellung. Sie protestierten gegen die Preispolitik der Discounter. Die wollten im Januar die Butterpreise senken – und zwar brutal. Wieder einmal drohte Landwirten, dass sie drauflegen.

Die Proteste sind also zunächst nachvollziehbar und berechtigt. „Land schafft Verbindung“ machte besonders mit Aktionen in Niedersachsen und NRW bundesweit Schlagzeilen. Doch allein der Blick auf die geografische Verteilung der Proteste, die vor allem in Nordwestdeutschland stattfanden, verrät einiges über die Ursachen. Dazu später mehr.

Angestoßen werden auch immer wieder Grundsatzdebatten. Wir kennen das bei der AGA. In zahllosen Diskussionen besonders mit dem Bauernverband, aber auch mit konservativen Politikern, hören wir immer wieder, der Verbraucher, der Kunde der Discounter, sei Ursache der Misere. Denn der Schwarze Peter wird gerne durchgereicht: Die Agrarindustrie und globale Lebensmittelkonzerne verweisen auf die knallharte Einkaufspolitik der Lebensmittelriesen Edeka, Aldi, Lidl und Rewe. Diese wiederum sagen, der Markt und somit der Endkunde verlange eben günstige Lebensmittel. Das wiederum dient einigen Unternehmern als Legitimation für Tierfabriken.

Das klingt zunächst einleuchtend, ist aber nicht kompromisslos. So forderte der thüringische Minsterpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf der Grünen Woche 2020, dass die Politik für bestimmte Lebensmittel einen Mindestpreis festlegen sollte. Erwartungsgemäß löste das bei den konservativen Meinungsmachern der Frankfurter Allgemeine Zeitung Schnappatmung (FAZ) aus. Sie betonten sogleich, was Bauernverband und CDU mantraartig  wiederholen, nämlich dass die Marktwirtschaft alles richten werde und müsse.

So zitierte die FAZ den Präsidenten des deutschen Einzelhandelsverbands Josef Sanktjohanser: „Offensichtlich ist einigen Politikern der ordnungspolitische Kompass verlorengegangen, der die Vorteile der sozialen Marktwirtschaft und das Ziel, Wohlstand für alle zu schaffen, in den Mittelpunkt stellt“. Wohlstand für alle. Wie schön gesagt …

Was hat die sogenannte freie Marktwirtschaft den Erzeugern (Landwirten) und den Verbrauern wirklich gebracht? Die Bauern ächzen unter dem Preisdiktat der Konzerne, und auch der Billigbutterkäufer zahlt die Zeche an anderer Stelle: U.a. mit der Belastung der Böden und des Klimas durch die Massentierhaltung, die eben die „billige“ Butter überhaupt möglich machen. Es ist die ganze Kausalitätenkette vom lateinamerikanischen Futtersoja bis zum Tierleid in deutschen Ställen.

Dazu kommt die jahrzehntelang verbreitete Ideologie des Bauernverbandes (DBV), eifrig unterstützt von der CDU: „Wachsen statt weichen“ wurde von den Funktionären des DBV, die nicht selten in den Aufsichtsräten der Agrarriesen sitzen, als Allheilmittel verkündet . Und so kommen die Proteste tatsächlich besonders aus den Schweine- und Milchhochburgen im Nordwesten, wo auf immer mehr Wachstum gesetzt wurde. Der Export, der Weltmarkt wurde als Lösung und Segen zugleich verkündet („Wir müssen Global Player werden“, Bauernpräsident Rukwied). Doch nun hat China die Grenzen dicht gemacht, Schlachthöfe als Coronahotspots mussten ihre Kapazitäten drosseln,  und die auf Masse ausgerichteten Mastbetriebe wissen nicht wohin mit den Tieren.

Selbst ein Rewe-Vertreter stellte fest, dass die Exportorientierung der deutschen Landwirtschaft nicht die Lösung, sondern ein Teil des Problems ist. Unbeholfen bis lächerlich muten da die Vorschläge von Herrn Rukwied an. Die Handelsketten sollten für heimische Lebensmittel einen „Deutschland-Bonus“ zahlen. Im Spiegel 2/2021 wird dazu Ottmar Ilchmann, bundesweiter AbL-Milchsprecher, zitiert: „Als ob ein deutsches Schwein aus Intensivtierhaltung, das mit südamerikanischen Soja gefüttert wurde und im Zweifel Gülleüberschuss produziert, irgendwie besser“ sei.

Weiter erinnert Ilchmann daran, dass den Milchbauern der Genossenschaftsgedanke abhanden gekommen sei. In Nordhessen haben wir die Upländer Genossenschaft, doch in den meisten Regionen sieht es düster aus. Ganz zu schweigen von den Milchbauern, die sich an Riesen wie dem Deutschen Molkereikontor gebunden haben. Der Marktführer produziert seit Jahren Milchpulver für den Weltmarkt und freut sich über die Politik des Deutschen Bauernverbandes, der u.a. mit der Begründung erfolgreich die Abschaffung der Milchquote unterstützte, die Marktwirtschaft werde Angebot und Nachfrage regeln.

Ist Bodo Ramelow also wirklich der „ordnungspolitische Kompass“ verloren gegangen mit seiner Forderung nach Mindestpreisen? Fest steht: Es ist immer wieder auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die den Status quo zu festigen versucht. Gerade erst wieder mit dem Vorstoß, die EU Politik in Sachen nationaler Umweltschutzregelungen rasch umzusetzen. Denn das bedeutet konkret, dass zu wenig echte Umweltschutzmaßnahmen entwickelt werden und fast alles beim Alten bleibt. Wer oder was treibt Frau Klöckner nur an?

Es werden einfach zuviel taktische (Ablenkungs-)Manöver gefahren und reichlich Nebelkerzen geworfen. Die Interessen großer Investoren gerade auch auf dem globalen Agrarmarkt haben immer noch Vorrang vor Klima, Umwelt und Tierwohl. Für Außenstehende fast unmöglich zu durchschauen der Filz aus industrieller Agrarlobby, Finanzinvestoren, Verbandsfunktionären und einigen Politikern.

 

Wie passend da die Forderung der diesjährigen Wir-haben-es-satt Proteste, deren Trägerkreis extrem breit aufgestellt ist: Agrarindustrie abwählen!


Schon Mitte 2020 gab es berechtigte Proteste der Milchbauern, auch auf unserer Webseite nachzulesen:

Wieder ein Butterberg?