Tönnies: Menschen leiden – Tiere auch

Protest vor Tönnies in Rheda-Wiedenbrück im Juli 2020 (Foto LK)

Erschütternde Undercover-Doku über Fleischfabrik Tönnies

Der Privatsender SAT.1 änderte kurzfristig am 14. Dezember sein Programm für eine kritische Dokumentation über die Fleischfabrik Tönnies und dessen Geschäftsführer Clemens Tönnies. Die Anwälte des Fleischfabrikanten hätten im Vorfeld noch versucht die Ausstrahlung zu unterbinden, konnten diese aber nicht verhindern, so der Sender.

Im Juni 2020 kam es in Deutschlands größtem Schlachtbetrieb mit mehr als 16.000 MitarbeiterInnen und einem Umsatz von 7 Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr zu einem massenhaften Corona- Ausbruch mit mehr als 1.400 Infizierten, der für Schlagzeilen sorgte. Eine vorübergehende Betriebsschließung in Rheda-Wiedenbrück war die Folge. Alle MitarbeiterInnen der Firma Tönnies und ihre Haushaltsangehörigen mussten damals in Quarantäne, auch Schulen und Kitas in der Umgebung mussten geschlossen bleiben, um das Infektionsgeschehen im Kreis einzudämmen. Der Ärger war riesig. Durch die weiteren Ermittlungen wurden menschenunwürdige Arbeits– und Wohnverhältnisse der osteuropäischen ArbeiterInnen, die über Subunternehmen beschäftigt wurden, öffentlich.

 Clemens Tönnies räumte damals Fehler ein, erklärte, dass er in der Verantwortung stehe und beteuerte, so nicht weiterzumachen. Alles sollte also besser werden. Auch der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betonte, dass rücksichtloses Wirtschaften nicht mehr zu akzeptieren sei und versprach schnelles Handeln. Schon lange galten die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie als systematisch. Seit Anfang dieses Jahres gibt es eine Gesetzesänderung, die in den Kernbereichen dieser Branche Werksverträge verbietet.

Die verdeckten Ermittlungen von SAT 1 Investigativ offenbaren – mehr als ein Jahr nach diesem Skandal – noch immer ein System von Mietwucher, Einschüchterung und Ausbeutung von meist osteuropäischen Arbeitskräften. Eine Journalistin aus Bulgarien schleuste sich unter dem Decknamen Milena als Arbeiterin bei Tönnies ein und recherchierte vor Ort. Dafür musste sie zunächst unbezahlt einen Tag zur Probe arbeiten und anschließend einen Vertrag in deutscher Sprache unterzeichnen, der ihr nicht einmal ausgehändigt wurde. Eine Unterkunft bekam sie zugeteilt. Milena beschreibt die ersten Tage an ihrem Arbeitsplatz bei Tönnies als die schlimmsten Tage ihres Lebens. Dass es aufgrund von Erschöpfung zu Zusammenbrüchen komme und sich einzelne ArbeiterInnen auf dem Parkdeck prostituieren würden, wurde ihr berichtet.

Den Recherchen zufolge rekrutieren noch immer frühere Subunternehmen ArbeiterInnen nach den alten Strukturen, die in der Fleischindustrie nicht mehr erlaubt sind. Die JournalistInnen berichten hauptsächlich von Einschüchterung und Ausbeutung der MitarbeiterInnen bei Tönnies und von „Mietwucher für menschenunwürdige Unterkünfte“, vermietet von der Tönnies Immobilien GmbH. Die Unterkünfte seien teils schimmelig, mit Ungeziefer befallen und überfrachtet mit Menschen, die dafür überteuerte Mieten bezahlen, auch der Transport zum Werk koste viel. Beide Posten sollen häufig direkt über die Lohnabrechnung verrechnet worden sein.

Eine gezielte Überwachung und Isolierung am Arbeitsplatz wird beschrieben, befragte MitarbeiterInnen möchten aus Angst unerkannt bleiben. In der Reportage ist die Rede von Unterdrückung der ArbeiterInnen, von „moderner Sklaverei mitten in Deutschland“  und davon, dass Tönnies (mindestens bis Sommer 2021) deutsche Gesetze missachte.

Tönnies reagierte umgehend in einer Stellungnahme auf die Reportage von SAT1-Investigativ und verweist auf einen laufenden Transformationsprozess, der bereits zu Verbesserungen führe. Die Vorwürfe weist die Tönnies-Unternehmensgruppe zurück und kritisiert, dass Dinge aus dem Zusammenhang gerissen und einseitig recherchiert worden seien. Man werde sich nicht von reißerischen und tendenziösen Berichterstattungen aus der Bahn werfen lassen, so der Unternehmenssprecher.

Tönnies steht gleich mehrfach in der Kritik, nicht nur für die Ausbeutung von Menschen, sondern auch von Tieren. Aufgrund der aktuellen Diskussion wird das schnell mal vergessen. Das Deutsche Tierschutzbüro vergibt jedes Jahr einen Negativ-Preis. Mit diesem Preis sollen Unternehmen ausgezeichnet werden, die von Tierquälerei profitieren oder Tiere ausbeuten. In diesem Jahr geht der „Preis der Herzlosigkeit“ an den Konzern Tönnies. Das Deutsche Tierschutzbüro begründet seine Entscheidung damit, dass kaum ein anderes Unternehmen so sehr von der Massentierhaltung profitiere, wie dieser Schlachtgigant. Pro Jahr tötet das Unternehmen etwa 20 Millionen Schweine, davon allein in Rheda-Wiedenbrück bis zu 30.000 täglich. „Die bei Tönnies geschlachteten Schweine stammen überwiegend aus der Massentierhaltung, wo sie auf Spaltenböden gehalten werden und keinerlei Auslauf haben“, sagt Jan Peifer, Vorstandsvorsitzender vom Deutschen Tierschutzbüro. Tönnies würde sich medienwirksam von Tierquälerei distanzieren und eine heile Welt vorgaukeln, die kaum etwas mit der Realität zu tun haben soll. Letztlich ginge es dem Unternehmen nur um die Schlachtung von Tieren im Akkord und möglichst viel Profit. Den Preis hat der Konzern abgelehnt. (mk)

Den Beitrag kann man in der SAT1-Mediathek anschauen, muss sich dazu aber leider erstmal anmelden. Hier der Link:
https://www.sat1.de/tv/sat-1-investigativ/video/11-inside-toennies-ganze-folge