Milchprodukte sind Umsatzträger im Lebensmittelhandel (Foto Alf Dickhaut)
Das Recherchemagazin CORRECTIV hat aus einer noch nicht veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes errechnet, dass sich die versteckten Umweltkosten der deutschen Milchproduktion auf sieben bis elf Milliarden Euro pro Jahr belaufen.
Kuhmilch ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Massenprodukt verkommen. Mit Werbekampagnen wie beispielsweise „Die Milch macht´s“ oder »Milch macht müde Männer munter« und der mittlerweile von der FAO (Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen) angezweifelten Theorie, Milch sei gesund und förderlich für den Knochenaufbau und -erhalt, wurde die Milch als unverzichtbares Nahrungsmittel in den täglichen Speiseplan integriert.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die im Auftrag des Bundesernährungsministeriums Empfehlungen ausspricht und „einen Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung“ leisten will, veranstaltet „Milchpartys“ und bietet in Schulen und Kindergärten verschiedene Milchprodukte zum Verkosten an. An diesen Empfehlungen orientieren sich Kantinen in Schulen und Betrieben, Altenheimen und Krankenhäusern. Auch Mediziner*innen und Ernährungsberater*innen richten sich nach diesen Tabellen. So entscheiden diese Werte maßgeblich darüber, was in deutschen Kantinen und Großküchen tagtäglich auf dem Speiseplan steht.
Die Milch scheint günstig und die Deutschen konsumieren sie entsprechend. Der wahre Preis hierfür ist aber wesentlich höher, als derzeit an der Ladentheke gezahlt wird. Dies hat die einflussreiche Lobby der Milchindustrie bisher erfolgreich verstanden zu verschleiern, indem sie die Milch als unverzichtbar für die Gesundheit dargestellt.
„Die versteckten Umweltkosten von Milch zahlen wir nicht an der Supermarktkasse, sondern sie übernimmt die Allgemeinheit und häufig wird erst zukünftigen Generationen die Rechnung vorgelegt – beispielsweise in Form eines verschärften Klimawandels oder dem Verlust der Artenvielfalt.“, sagt Knut Ehlers, Agrarwissenschaftler beim Umweltbundesamt. Dass die Massenproduktion von Milch Treibhausgase erzeugt und durch die großen Mengen an Dünger Böden und Gewässer schädigt, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Die Studie „Sichtbarmachung versteckter Umweltkosten der Landwirtschaft am Beispiel von Milchproduktionssystemen“ wird in Kürze erscheinen. Sie wurde vom Umweltbundesamt beim Öko-Institut zusammen mit dem Forschungsunternehmen INFRAS und dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft in Auftrag gegeben. In dieser Studie werden erstmals auch indirekte Klima- und Umweltschäden der Milchproduktion beziffert.
Errechnet wurde, dass ein Kilogramm Rohmilch fast doppelt so teuer ist wie der aktuelle Marktpreis von 36 Cent; die Umweltkosten betragen zwischen 21 und 34 Cent, je nachdem, ob sie ökologisch oder konventionell produziert wird. Somit belaufen sich die versteckten Kosten der massenhaft produzierten Milch von über 30 Millionen Tonnen Milch in Deutschland jährlich auf sieben bis elf Milliarden Euro.
Fleisch- und Molkereiunternehmen sind weltweit für rund 14 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Der Schlachtbetrieb Tönnies und die Molkerei Deutsche Milchkontor beispielsweise produzieren allein 2,6 Prozent der landesweiten Emissionen. Ein Kilo Butter erzeugt sogar fast doppelt so viele Treibhausgase wie ein Kilo Rindfleisch. Knut Ehlers weiter: „In Deutschland werden etwa 40 Prozent der Ackerflächen dafür verwendet, Futtermittel herzustellen – man ,veredelt’ also pflanzliche in tierische Nahrungsmittel. Beim Veredeln gehen rund 80 Prozent der Nährstoffe verloren. Anstatt also in diesem Ausmaß erst Tiere vom Acker zu ernähren und dann anschließend Menschen von den tierischen Produkten zu ernähren, könnten wir viel mehr Menschen gesund ernähren, wenn wir die Ackerflächen direkt für die menschliche Ernährung nutzen würden.“
Eine Kuh gab vor 100 Jahren nicht einmal 2.000 Liter Milch jährlich. Heute haben wir Hochleistungskühe, die es bis zu 10.000 Liter schaffen. Das Soja für das Futter kommt häufig mit dem Schiff aus Brasilien, den USA oder Argentinien. Für dessen Anbauflächen wurden auch Regenwälder gerodet.
So ist Milch mittlerweile in vielen Produkten zu finden. Weil sie massenhaft überproduziert wird, verarbeitet die Nahrungsmittelindustrie die billige Zutat nicht nur zu Joghurt- und Käseprodukten, sondern verwendet sie auch in Süßigkeiten, Schokolade und Fertigkuchen. Überschüssige Milch wiederum wird mit einem erheblichen Energieaufwand zu Milchpulver verarbeite und lagert in riesigen Hallen. So werden anfangs enorme Wassermengen über die Kuh zur Milchgewinnung aufgewendet, um sie anschließend der Milch wieder zu entziehen.
Mit welchem Recht und mit welcher Logik unterliegt ein solches Massenprodukt der reduzierten Mehrwertsteuer von 7 Prozent und warum werden beispielsweise Haferdrinks mit 19 Prozent versteuert, die doch wesentlich klimafreundlicher sind?
Was den gesundheitlichen Aspekt angeht, schlagen einige Länder und auch Forschende der EAT-Lancet-Kommission im Gegensatz zur DGE mittlerweile vor, nur halb so viele Milchprodukte zu verzehren, damit zehn Milliarden Menschen gesund und klimaverträglich leben können.
Auch die Ernährungspolitik sollte sich an dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens orientieren.
Quelle:
Der Correctiv-Report https://correctiv.org/top-stories/2021/09/21/die-milchlobby-wie-unsere-milch-klima-und-umwelt-schadet/?mc_cid=bd12acf849&mc_eid=9b7ea72369