Rechte versuchen, Proteste zu vereinnahmen
Dreißig Prozent der niederländischen Viehbauern sehen ihre Betriebe aufgrund eines neuen Gesetzes vor dem Aus. Die Landwirte fühlen sich unter Druck gesetzt und es ist leicht, sie für Proteste zu gewinnen. Das Gesetz sehe Enteignung zugunsten des Klimaschutzes vor, so oder ähnlich missdeuten rechte Medien das Programm der niederländischen Regierung. Überhaupt sind Medien aus dem rechten Spektrum in der Berichterstattung über die Bauernproteste sehr präsent und häufig legen sie Wert darauf, die Gewalttätigkeit der Proteste herunterzuspielen.
Aber worum geht es überhaupt? Die Landwirtschaft ist in unserem Nachbarland der größte Stickstoffemittent. Mit der neuen Regelung wollen die Niederlande ihren Stickstoffausstoß bis 2030 halbieren. In schützenswerten Naturgebieten sollen die Stickstoffemissionen sogar um 70 Prozent zurückgehen. Das bedeutet, dass die Viehbestände deutlich verkleinert werden müssen und der Düngereinsatz verringert.
Es gibt Bauern, die sich mit Politikern und Bauernverbänden am runden Tisch um Lösungen bemühen wollen, aber auch solche, die Rechtspopulisten und Rechtsextreme in ihren Reihen mit demonstrieren lassen. Niederländische Rechte wittern ihre Chance, so sehnen etwa Abgeordnete der rechtsextremen Partei „Forum für Demokratie“ einen Systemkollaps herbei und möchten selbst die Macht ergreifen. Nach den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen haben Rechte und Rechtspopulisten in den Niederlanden nun ein neues Thema gefunden.
Die Protestierenden gehen in den vergangenen Wochen immer massiver vor: Sie legen Autobahnen mit Traktoren lahm, blockieren Supermärkte und lassen Strohballen brennen. Vor dem Haus von Umweltministerin Christianne van der Wal kippten sie eine Ladung Gülle aus.
In den Niederlanden bröckelt in der Bevölkerung das Verständnis für die zunehmend aggressiven Aktionen der Landwirte. Ein Grund dafür ist, dass Traktoren, Laternenpfähle und Häuser nicht selten mit einer umgedrehten niederländischen Flagge versehen sind. In der Seefahrt steht diese für eine Notsituation. In einer Notsituation sehen die Protestierenden das ganze Land. In Deutschland ist die umgedrehte Nationalflagge das Symbol der rechtsextremen Reichsbürger.
Martin Sellner, einer der Köpfe der extrem rechten „Identitären Bewegung“, sieht die Corona-Proteste, den Widerstand gegen Migration, das Leugnen des Klimawandels und nun die Bauernproteste als große patriotische Bewegung gegen Globalisierung und die bestehende Wirtschaftsordnung. Globalistische Eliten wollen, so Sellner, Nahrungsmittel verknappen und die „weiße Rasse“ ausrotten. Das ist antisemitische und rassistische Wortwahl pur.
Erste Protestaktionen finden inzwischen auch in Deutschland statt. Nicht selten stehen rechtsextreme Gruppen wie die „Freien Sachsen“, Gruppen aus dem Querdenker-Milieu oder auch die Identitäre Bewegung hinter den Aktionen. Der Bauernverband zeigt Verständnis für die Proteste in den Niederlanden, distanziert sich aber von der Gewalt und von rechten Trittbrettfahrern.
In Deutschland sehen sich viele Betriebe gefährdet durch schlechte Erträge und steigende Auflagen, ähnlich wie im Nachbarland. Die Bewegung „Land schafft Verbindung“ zeigt sich solidarisch mit den niederländischen Kollegen. Ihr Sprecher, Anthony Robert Lee, betont, dass größere Kundgebungen bislang nur ausbleiben, weil die Landwirte mit der Ernte beschäftigt sind.
Der Geschäftsführer der AbL, Georg Janßen, nimmt die Pläne der niederländischen Regierung zum Anlass, endlich einen Systemwechsel in der Agrarpolitik herbeizuführen. Er wirbt dafür, weg von der agrarindustriellen intensiven Landwirtschaft und hin zu einer flächendeckend umwelt-, wasser- und klimaschonenden Landwirtschaft zu gehen. Janßen plädiert für höhere Standards in der Tierhaltung und für mehr Tierwohl und Klimaschutz. Von den Protestierenden fordert er eine klare Abgrenzung von rechtspopulistischen Parteien, die die Proteste für ihre Zwecke nutzen wollen.
Probleme durch zu hohe Stickstoffemissionen sind seit Jahrzehnten in vielen europäischen Ländern bekannt. In den Niederlanden werden seit dreißig Jahren durch die intensive Viehhaltung EU-Grenzwerte verletzt. Dass die Regierung zum Schutz der Umwelt und des Klimas nun handelt, ist überfällig. (sf)