Arbeitsschutz im Schlachthof? Erstmal abwarten und (zer-)reden

Seit den Coronaausbrüchen in deutschen Schlachthöfen kann nun wirklich niemand mehr sagen, er hätte es nicht gewusst. Natürlich hatten wir seitens der AGA schon immer festgestellt, dass zu den ausbeuterischen Methoden der Massentierhaltung konsequenterweise auch die Ausbeutung der Menschen in den Schlacht- und Zerlegebetrieben gehört. Doch erst mit Corona wurden die teilweise mafiosen Strukturen in der Fleischindustrie ein großes Thema in den Medien.

Interessierte Laien stellen immer wieder mit Erstaunen fest, was es im Lobbybereich so alles gibt. Da findet sich z.B. der Verband der Fleischwirtschaft e.V. (VDF), dessen rund 200 Mitglieder laut Selbstdarstellung „mehr als 90% aller Schlachtungen in Deutschland“ und „nahezu den gesamten Import und Export“ von Fleischerzeugnissen abwickeln. Schön formuliert auch: „Als Mittler zwischen Wirtschaft und Behörden setzen wir uns in allen die Branche betreffenden Bereichen sowohl durch öffentliche Stellungnahmen als auch in direkten Kontakten für die Belange unserer Mitglieder ein.“

In den letzten Monaten ist das dem VDF wieder ganz besonders gelungen. Noch im Mai war sich die GroKo einig, dass in den Schlachthöfen unhaltbare Zustände herrschen. Arbeitsminister Heil (SPD) nutzte die Gunst der Stunde und legte Eckpunkte für ein Arbeitsschutzkontrollgesetz im Kabinett vor. „Wir werden aufräumen“ und das Übel an der Wurzel packen, hieß es damals. Dagegen sein konnte eigentlich niemand unter den Politikern.

Denn was in Nordhessen durch den Wilke-Skandal offensichtlich geworden war – die Ausbeutung vor allem osteuropäischer Arbeiter durch Werkverträge oder Arbeitnehmerüberlassung, gilt ja letztlich für die gesamte Branche, für die stellvertretend Marktführer Tönnies steht.

Der VDF wurde jedenfalls aktiv und war offenbar erfolgreich: u.a. Gitta Connemann (stellv. Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag), in deren niedersächsischen Wahlkreis Unterems auch Schlachthöfe liegen, trat mächtig auf die Bremse. Rothkötter würde in ihrer Heimat im Geflügelschlachthof nicht einen einzige Werkvertragsarbeiter beschäftigen, ließ sie wissen. Nicht erwähnen tat sie Weidemark, ebenfalls in ihrem Wahlkreis, einem Tochterunternehmen von Tönnies und Coronahotspot. Fazit: Bei dem generellen Ziel, dass alle Arbeiter in den Schlachthöfen fest angestellt werden (die einzig wirksame Methode gegen die üblen Zustände), sieht die Union noch „Gesprächsbedarf“.

Das Gesetz sollte eigentlich Ende Oktober in den Bundestag, doch auf Druck der CDU wurde der Punkt von der Tagesordnung gestrichen, ein Inkrafttreten des Gesetzes zum Januar 2021 ist nun unwahrscheinlich. Die Industrie und ihre Lobbyorganisationen sind zufrieden. Der Spiegel zitierte Ende Oktober aus einem internen Schreiben des VDF, in dem es heißt, die zahlreichen Gespräche mit Abgeordneten hätten offenbar Wirkung gezeigt.

Dieses ewige Weiter-So ist nur schwer zu ertragen. Gerade deshalb sind Proteste auf allen Ebenen wichtig: Wenn gerade auch Lokalpolitiker meinen, es sei ihre Hauptaufgabe, wirtschaftliche Interessen von Unternehmen zu vertreten und im besten Falle dadurch Gewerbesteuern zu generieren, muss der Druck aus der Zivilgesellschaft immer stärker werden. Natürlich wäre es auch gut, wenn solche Lobbyistenhörigkeit nicht nur zu Politikverdrossenheit einer Mehrheit führen sondern sich auch im Wahlverhalten niederschlagen würde. Kurz: Wahltag ist Zahltag.