Profitgier – auch wenn es Menschenleben kosten kann

Der Einsatz von Unmengen an Antibiotika in der Geflügelmast ist ein ernsthaftes Problem für unsere Gesundheit. Eine Studie der europäischen Seuchenbehörde macht die Bedrohung durch multiresistente Erreger deutlich: In Europa sterben jedes Jahr mehr als 33.000 Menschen an Infektionen mit solchen Keimen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Mehr als 2.300 sind es allein in Deutschland.

Gerade Reserveantibiotika sind häufig die letzte Möglichkeit, Menschenleben zu retten. Die Lebensdauer eines Antibiotikums ist begrenzt, denn die Mikroorganismen passen sich mit der Zeit an die Wirkstoffe an und werden resistent. Wer sich mit multiresistenten Keimen infiziert, gegen die kein gängiges Antibiotikum mehr hilft, kann sogar an simplen Infektionen sterben.

Der hohe Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung ist die wichtigste Ursache für die Zunahme multiresistenter Keime. Insgesamt werden in der Tierhaltung zwar weniger Antibiotika eingesetzt, nicht aber in der Hähnchenmast. Dort werden besonders häufig Antibiotika der 3. Generation verwendet, auch Reserveantibiotika genannt.

In der industriellen Geflügelhaltung werden die Tiere an die Haltungsform angepasst. Sie sollen in möglichst kurzer Zeit auf möglichst wenig Platz mit möglichst wenig Arbeitsaufwand wachsen oder Eier legen. Diese Form der Tierhaltung funktioniert nicht ohne den intensiven Einsatz von Antibiotika. Der Antibiotikaeinsatz in den Ställen ist besonders geeignet, Resistenzen entstehen zu lassen. Denn Medikamente werden dort weniger gezielt vergeben als in der Humanmedizin. Da man kranke Tiere in der Masse schlecht isolieren kann, werden oft auch Tiere mitbehandelt, die nicht krank sind, wenn sie den Stall wechseln oder mit kranken Tieren in einer Gruppe leben (Metaphylaxe). Antibiotika werden zudem auch zur Krankheitsvorbeugung pauschal an gesunde Tiere vergeben (Prophylaxe). Insgesamt werden so mehr Antibiotika an gesunde Tiere vergeben als in der Humanmedizin an kranke Menschen.

Wer setzt sich am Ende durch? Eine Politik, die den Verbraucher schützt, oder eine Industrie, die verdienen möchte?

Mit der EU Tierarzneimittel-Verordnung legte man vor zwei Jahren verbindlich fest, dass die Verwendung von Antibiotika bei Lebensmittel erzeugenden Tieren streng reglementiert werden soll und Reserveantibiotika nur für die Anwendung beim Menschen vorbehalten sein sollen. Inzwischen wird klar, dass die beabsichtigte klare Begrenzung der Anwendung offenbar von der Europäischen Kommission unterlaufen wird. Sie verhandelt aktuell mit den Mitgliedsstaaten über einen Entwurf, nach dem auch Reserveantibiotika Tieren weiter verabreicht werden können, wenn es dem Tierwohl dient. Martin Häusling, Mitglied im Europaparlament, bezeichnet dieses Vorgehen als skandalös und sieht darin die klare Absicht, die Begrenzung in der Anwendung durch ein Hintertürchen zu umgehen.

Eine aktuelle Untersuchung der Umweltorganisation Germanwatch deckt Resistenzen gegen Reserveantibiotika im Hähnchenfleisch auf. Dafür ließ sie 165 Hähnchenfleischproben der drei größten EU – Geflügelfleischkonzerne untersuchen. Gekauft wurden diese in fünf EU-Staaten, so auch in Deutschland bei Aldi Nord und Lidl. Mehr als die Hälfte dieser Proben sind mit Resistenzen gegen ein oder mehrere Antibiotika gleichzeitig belastet. Die durchschnittliche Belastungsrate mit Resistenzen gegen Reserveantibiotika beträgt außerdem 35%. Aldi-Nord und Lidl verkaufen Fleisch des deutschen Geflügelkonzerns PHW vor allem unter der Marke „Wiesenhof“. Bei Geflügelfleisch von PHW wurden in 59 Prozent aller Proben antibiotikaresistente Erreger gefunden. 25 Prozent trugen dabei den als sogenannten Krankenhauskeim bekannten Erreger MRSA in sich.

Dieses Ergebnis ist besorgniserregend, denn es geht hier nicht nur um die tierschutzwidrige Haltung der Tiere, sondern auch um unsere Gesundheit. Reinhild Benning von Germanwatch kritisiert diesen massiven Missbrauch von Antibiotika: „Die Wirtschaft hat sich entschieden, sie möchte billiger werden, sie möchte nicht besser werden“.

Verantwortlich für diese Entwicklung ist die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, der es gegenüber der Geflügelwirtschaft an Durchsetzungsvermögen mangelt. In einem vertraulichen Gesprächsvermerk des Bundeslandwirtschaftsministeriums über die Strategie zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes, der Frontal 21 vorliegt, kritisiert sie die Haltung der deutschen Geflügelindustrie wörtlich mit dem Vermerk: „Sie laufe da vor eine Wand“.  Öffentlich sagt sie dann, das Ganze sei nicht sehr dynamisch nach vorne, lösungsorientiert gewesen. Es kann nicht sein, dass der Verbraucher der Leidtragende ist, wenn sich die Ministerin nicht gegen die Geflügellobby erwehren kann.

Der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft ZDG verteidigt in einer Stellungnahme den Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast und bezeichnet den Verzehr von Geflügelfleisch als unbedenklich, sofern die gängigen Regeln der Küchenhygiene eingehalten werden. Das ist mehr als befremdlich, schuld ist wie immer der Verbraucher.

Aufgrund dieser Untersuchungen fordert Germanwatch ein Verbot von Reserve-Antibiotika für Tiere. Diese sollten für die Behandlung bestimmter Krankheiten bei Menschen vorbehalten sein.

https://www.aerztezeitung.de/Medizin/33000-Tote-pro-Jahr-durch-resistente-Keime-226155.html

https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/2020%20Studie%20%27Hähnchenfleisch%20im%20Test%20auf%20Resistenzen%20gegen%20Reserveantibiotika%27%2C%20Germanwatch.pdf

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019R0006&from=DE

https://www.martin-haeusling.eu/images/201017_Hintergrund_Antibiotikaresistenzen_Reserveantibiotika__Regelung_in_der_Tierarzneimittel-VO_2019-6.pdf