Wie die globale Agrarindustrie unsere regionalen Landwirte vor ihren Karren spannt

Eitel Freude auf dem Pressefoto – alle waren sich einig: Wir machen alles richtig, nur der Verbraucher hat es noch nicht verstanden. Oder in Zahlen des Professors gesagt (der allerdings mit Zahlen sehr freihändig umging): 80 Prozent der Verbraucher tolerierten die Methoden der industriellen Landwirtschaft. Man müsse sie nun dazu bringen, sie zu akzeptieren.

Der Honorarprofessor, jahrelang Chefeinkäufer bei Nestle, auch mal Aufsichtsratsvorsitzender von Nordzucker, tingelt als Redner und Provokateur durch die Lande und Landwirtschaftstage und ist augenscheinlich ziemlich erfolgreich. So auch in Korbach vor etwa 400 Zuhörern, bei denen seine Aussagen mehrheitlich Kopfnicken und Beifall ernteten.

Naturgemäß kann man als kritischer Nicht-Landwirt die Aussagen des Redners, der irgendwie immer wirkt wie ein bezahlter Lobbyist der Lebensmittelindustrie, etwas anders auffassen und interpretieren. Sein Vortragsstil war professionell und begeisterte weite Teile seiner Zielgruppe. Das Polarisieren ging häufig in Polemik über: so präsentierte er einen Videoclip mit zwei alten Damen, die einen Bauern beschimpfen („Das sind Veganerinnen“) und einen Spot des BUND von 2013, der zugegebenermaßen geschmacklos ist und deshalb auch nach wenigen Tagen gelöscht wurde (und auf Youtube auch nicht mehr zu finden ist).

Man kann so die Kritik an der industriellen Landwirtschaft abtun, schlau ist das nicht. Wie gesagt: Der berufliche Werdegang des Professors weist ihn als Vertreter und Berater der Lebensmittelindustrie aus, was aus landwirtschaftlicher Sicht eigentlich kritisch gesehen werden sollte. Doch im Gegenteil: an diesem Abend war nicht der „schlecht informierte“ Verbraucher Schuld an der Image-Misere, die nach Auffassung der Agrarlobby lediglich ein „Kommunikationsproblem“ ist. Nein, es war der Handel, der mächtiger sei als die Bundeslandwirtschaftsministerin. So wird der schwarze Peter gerne an Dritte weitergegeben.

Dabei ist das Problem ein anderes: die Lebensmittelindustrie fordert billige Rohmasse, die sie „veredelt“ (und sei es vor allem mit Marketing) und teuer verkauft. Je mehr, desto besser. Dass ein Drittel der Lebensmittel in Deutschland im Müll landet, spielt keine Rolle, denn die Ware wurde ja zuvor verkauft. Sowieso weltweit. In der Logik der Industrie ist folglich die industrielle Tierhaltung alternativlos. Hauptsache viel und billig. Da merkt der Herr Professor schon gar nicht mehr, was er sagt, wenn er erklärt, eine Hochleistungskuh könne auf der Wiese ja gar nicht überleben, weil sie Kraftfutter brauche. Das stimmt. Nur wirft das die Frage auf, ob man ethisch gesehen ein Lebewesen derart überzüchten darf als „Nutztier“…

Für einen Wissenschaftler ging er gewagt mit statistischem Zahlenmaterial um. Die Weltbevölkerung von 1910 wurde bemüht (1 Mrd. Menschen) und die  Zahl von 10 Milliarden prognostizierten Menschen im Jahr 2050. Ernsthaft behauptete Nöhle, „alle Menschen wollen Fleisch essen, 7 Tage in der Woche“ und rechnete hoch, man müsse Ertrag und Export noch weiterhin steigern. Notfalls Insekten an Nutztiere verfüttern, um noch mehr Fleisch zu erhalten. Deutschland sei weltweit drittgrößter Exporteur landwirtschaftlicher Produkte und das müsse so bleiben.

Eigentlich sollte sich herumgesprochen haben, dass EU-subventionierte Exporte in die sog. Dritte Welt dort lokale, bäuerliche Strukturen zerstören und durchaus eine Fluchtursache für Menschen sind. Für die globale Lebensmittelindustrie spielt das keine Rolle. Nestle macht bekanntlich auch Geschäfte mit Trinkwasser in Afrika. Gewinne können überall generiert werden. Schade, dass regionale Verbände der Landwirte diese einfachen Zusammenhänge nicht sehen (wollen).

Nöhle warf der Gesellschaft Doppelmoral vor, brachte geschickt alte Ressentiments ins Spiel: die Auflage der Zeitschrift „Landlust“ sei gewaltig und werde von den Städtern goutiert. So seien die eben. Energie immer und überall, aber Tschnobyl und Fukushima seien bäh [das muss man sich erstmal trauen, von der Bühne zu sagen]. Die Ökos vom Prenzlauer Berg könnten sich natürlich auch Rindfleisch für 60 oder 80 Euro das Kilo leisten. Aber die Menschen doch nicht. Die Menschen, die nun mal 7 Tage in der Woche Fleisch essen wollten. Weltweit. Immer mehr.

Es ist ein Elend. Da sitzen Landwirte im Saal, denen die Lebensmittelindustrie mit ihren globalen Interessen im wahrsten Sinne des Wortes die Existenzgrundlage raubt. Rationeller, wachsen statt weichen, das ist die suggestive Botschaft. Doppelmoral müssen sich deshalb eher die Bauernvertreter vorwerfen lassen: Sie befeuern ein System, das keine Zukunft hat. Weder Hofbesichtigungen noch Websites werden daran etwas ändern. Absurderweise werden mit dieser Politik immer mehr kleine und mittlere Höfe verdrängt, und das wollen, laut aktuellen Umfragen, vier Fünftel der deutschen Bevölkerung nicht.