Vielfalt bewahren – Arten schützen

Podiumsgespräch mit Experten in Baunatal

Hochinformativ, spannend, wichtig, das waren die meistgenannten Urteile der Zuhörer in der Baunataler Stadthalle nach der Veranstaltung. Die AGA-Nordhessen und die Bürgerinitiative Chattengau gegen Massentierhaltung hatten drei Experten aufs Podium geholt, die reichlich Fach- und Insiderwissen hatten und dies auch rüberbrachten.

Dr. Kai Füldner, Direktor des Naturkundemuseums in Kassel, referierte über das Insektensterben. Ein Thema, das mittlerweile mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt ist, denn Insekten sind „systemrelevant“, d.h. ohne die Krabbel- und Flugtierchen stirbt die Natur und der Mensch entzieht sich selbst seine Lebensgrundlagen. „Wer kennt denn noch die Arten?“ fragte er in seinem lebendigen, mit autobiographischer Würze angereichertem Vortrag.

Er lieferte Zahlen und Fakten, erläuterte leicht verständlich das wissenschaftliche Zählverfahren und veranschaulichte den Rückgang der Arten. Auch die Hauptursachen für das leise Verschwinden der Insekten benannte er klar und deutlich: Autoverkehr, Flächenversiegelung und auch Licht gehören dazu, die Landwirtschaft jedoch steht auf Platz Nummer 1, denn über 50 % der Flächen in Deutschland werden landwirtschaftlich genutzt.

Auch anhand eines alten und eines neuen Luftbildes von Zierenberg zeigte Dr. Füldner, wie die sogenannte Defragmentierung, also die maschinengerechte Zusammenlegung von Ackerflächen, zusammen mit dem Anbau üblicher Kulturpflanzen (Mais) und vor allem dem massenweise Einsatz von Neonicotinoiden und Glyphosat die Lebensgrundlage der Kleinstlebewesen zerstört. Gerade die Massentierhaltung spiele bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle: 60 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche werden mittlerweile für die Futtermittelproduktion verwendet, 14 % für Energiepflanzen und nur 22 % für Nahrungsmittel. Der Referent nannte Ross und Reiter und schuf damit die inhaltliche Überleitung zum nächsten Beitrag.

Martin Häusling, gelernter Agrartechniker, ist schon lange in der Agrarpolitik tätig – von 2003 bis 2009 im Hessischen Landtag, anschließend und bis heute Mitglied im Europaparlament und dort agrarpolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen/EFA. Sein Thema war neben der europäischen Förderpolitik der Lobbyismus der Agrarindustrie. Hochinteressant waren seine Schilderungen, wie Einfluss auf politische Entscheidungen genommen wird: Einmal durch einen Bauern- und Genossenschaftsverband, der sofort gegen Reformen und Auflagen blockt (Glyphosat, Ferkelkastration) und massiv dafür kämpft, dass alles so bleibt wie es war (Flächennutzungsprämie). Dann wirkt in Brüssel stark die „Food & Drink“, die Lobby der Lebensmittelindustrie, die für billige Rohstoffe kämpft und dabei keine Rücksicht nimmt auf die Wertschöpfung der Landwirte.

Häusling wusste was zu erzählen, und man staunte über die Marketingstrategien von Bayer, BASF & Co., die natürlich kein Interesse an schrumpfenden Absatzmärkten haben. All dies fördert große Flächen und Strukturen, die vermeintlich dem Welthandel dienen, aber weder Naturerhalt noch Lebensmittelsicherheit im Blick haben. Ironisch merkte der Referent an, man könne neben einem Artensterben auch ein Bauernsterben feststellen.

Wenn sich nichts ändere, würden globale Saatgutriesen, Hersteller von Stickstoffdünger und Pflanzenschutzmitteln, große Lebensmittelkonzerne und der internationale Handel profitieren. Eine Agrarwende müsse her, denn das käme den Landwirten, den Tieren, kleinen und mittleren Verarbeitern und Händlern vor Ort, den Verbrauchern, der Artenvielfalt, dem Wasser, dem Boden und dem Klima zugute. Finanzielle Unterstützung der Landwirte durch die EU seien richtig und wichtig. Doch wenn hier erhebliche Steuermittel eingesetzt würden, so müsse die Gesellschaft eben auch entsprechende Gegenleistungen in Form von Nutzen für die Gesellschaft erhalten.

Damit war der dritte Fachmann des Abends an der Reihe, ein ausgebildeter Landwirt und Agraringenieur und somit Praktiker. Hans-Jürgen Müller, schon in den 1980iger Jahren Führungskraft eines großen Biobetriebes, ist nach Jahrzehnten verbandspolitischer Arbeit seit 2012 Sprecher der Vereinigung Ökologischer Landbau in Hessen und somit im positiven Sinne Lobbyist.

Auch er fesselte die Zuhörer mit anschaulichen Beispielen und Hintergrundwissen, das man so nicht ohne weiteres in der Zeitung liest. Dabei räumte er mit manch lieb gewonnenem Klischee auf: So sei Deutschland und auch Hessen bezogen auf die Fläche keineswegs Musterbeispiel für ökologischen Landbau im Vergleich zu Europa. Zwar weise die hessische Statistik gute Zahlenwerte auf, doch werde dabei die Bewirtschaftung und Qualität des Bodens nicht ausreichend berücksichtigt.

Dennoch sei der ökologische Landbau für die Zukunft gar der Welternährung bedeutend. Die Art, wie in Deutschland konventionell produziert werde, nehme keine Rücksicht auf Ressourcen – und dies sei ein Problem, was man nicht erst in weitere Zukunft angehen müsse. Provokant erklärte er, würde man die Folgekosten der industriellen Landwirtschaft wie Nitrat im Wasser, klimaschädliche Gase, aufwendige Stickstoffdüngerproduktion und anderes auf ein Produkt aufschlagen, wäre das konventionelle Hähnchen teurer als ein Bio-Hähnchen. Allein die Aufbereitung des Trinkwassers werde in den nächsten Jahren zu erheblichen Preissteigerungen für alle Privathaushalte sorgen.

Obwohl alle Referenten ihre ursprünglich vorgesehene Zeit deutlich überzogen hatten, kamen anschließend noch viele Fragen und Beiträge aus dem Publikum. Unter anderem tauchte die Frage auf, warum sich die Landwirte von einem Bauernverband vertreten lassen, der offensichtlich großen Konzernen näher steht als seinen Mitgliedern. Antwort: Der Verband ist so aufgebaut, dass kritische Stimmen niemals bis in die höheren Gremien des Verbandes durch dringen. Wie könne sich dennoch etwas ändern? Auch in der Forschung, Entwicklung und Lehre – von den Unis bis an die Berufsschulen – fehle ja oft der Wille, neue Wege zu gehen. Hier müssten klare politische Forderungen gestellt werden. Wirtschaftliche Interessen dürften nicht im Vordergrund stehen, sondern der gesellschaftliche Nutzen und die Zukunftsfähigkeit mit Rücksicht auf Natur und Umwelt.

Es wurden aber auch positive Zeichen gesehen und es herrschte Einigkeit, dass Mut und Engagement nötig und vorhanden sind für positive Veränderungen. Andreas Grede, Vorstand und Sprecher der AGA-Nordhessen und Moderator des Abends, erwähnte noch die Arbeit der AGA an Schulen. Dort gebe es ein sehr positives Feedback und es mache zuversichtlich, wie Kinder und Jugendliche vorurteilsfrei an Zukunftsfragen interessiert seien.

Ein langer Beifall beendete das offizielle Programm und in kleinen Runden wurde noch weiter diskutiert.