Nachdem der Investor Karl Schwalenstöcker seine Pläne für den Bau einer Geflügelmastanlage in Waldeck für 80.000 Tiere aufgegeben hat, überschlagen sich die Bewertungen seitens des Bauernverbandes, dessen „Entwicklungspolitik“ („Wachsen statt weichen“) am zunehmenden Bewusstsein der Bevölkerung scheitert und diesen immer mehr in die Isolation führt.
Wo Sachargumente nicht vorhanden sind, wird das Emotionale bemüht. Da wird den Gegnern des Projekts eine „Hasskampagne“ angedichtet und die Existenz der Landwirtfamilie als bedroht dargestellt, was sicher nicht den Tatsachen entspricht. In völliger Verdrehung der Sachverhalte wird von „politischer Erpressung“ gesprochen. Der Kreisbauernverband beklagt, sein „Mitglied habe keine Straftat begangen, sondern [sich] immer an geltendes Recht und Gesetz gehalten.“ Auf diese Weise wird der Investor als ein unschuldiges Opfer übereifriger Natur- und Umweltschützer dargestellt.
Klarzustellen ist zunächst einmal, dass Bürgerinnen und Bürger ihr gutes Recht auf politische Meinungsäußerung in Anspruch genommen haben. Aus gutem Grund: Längst gilt etwa das Fortbestehen des sogenannten priviligierten Baurechts für Mastanlagen als ein Musterbeispiel für Lobbyarbeit der Agrarindustrie. Einer Lobby, die zu den mächtigsten Interessengruppen in Berlin und Brüssel zählt.
Fakt ist auch, dass der Landwirt lokalpolitisch, in Gremien, Vereinen und Verbänden allerbestens vernetzt ist. Insofern ist es glaubhaft, wenn er im Fernsehen erklären lässt, dass er mit so viel Widerstand nicht gerechnet habe. Wenn hier nun von „politischer Erpressung“ seitens der Grünen und der Bürgerinitiative schwadroniert wird, zeigt das nur, wie wenig der Bauernverband bisher mit Gegenwind in der Politik zu tun hat. Politische Einflussnahme darf offenbar nur einseitig funktionieren.
Festzuhalten ist auch, dass sich die Bürgerinitiative ProWaldeck stets gegen persönliche Angriffe gegen den Investor ausgesprochen hat und u.a. dessen Namen aus den sozialen Medien herausgehalten hat. Dies gilt im übrigen auch für die AGA-Nordhessen, die bei ihrem Engagement gegen das Projekt die agrarpolitische Dimension sieht und persönliche Angriffe gegen den Investor stets unterlassen hat. Unabhängig davon bleibt die Frage, ob die Einzelinteressen des Herrn Schwalenstöcker, sein wirtschaftlicher Gewinn, gegen die Interessen des Landschafts-, Natur-, Umwelt- und Tierschutzes stehen können.
Im Antragsverfahren beim Regierungspräsidium hatten sich zahlreiche „Unschärfen“ erkennen lassen, über 700 Einwendungen von Bürgerinnen und Bürgern, darunter auch Fachleute, die sich tagelang durch den Antrag durcharbeiteten, hätten die Genehmigung im ersten Durchlauf vermutlich verhindert. Dass Frau Wetekam davon spricht, es sei „alles im grünen Bereich“ gewesen, ist wohl mehr Wunschdenken.
Ungenauigkeiten im Zahlenwerk, offene Fragen des Brandschutzes sowie der Abwasserentsorgung: In Waldeck lagen viele Knackpunkte zumindest in einer Grauzone. Die Verbissenheit, mit welcher der Kreisbauernverband das Projekt durchdrücken wollte, lässt sich nur damit erklären, dass hier offenbar ein Präzedenzfall geschaffen werden sollte.
Unterstützung erhält Frau Wetekam nachträglich von ihrem Parteifreund Jochen Rube (FDP), der sich nach dem Antrag der Grünen Kreistagsfraktion in neoliberaler Verbalakrobatik überschlägt. „Aktivisten und Gutmenschen“ würden „bestimmen, was Recht und Ordnung ist“. Er sieht sogar eine Allianz der AfD mit den Grünen. Nun ist ja ausgerechnet der Begriff „Gutmenschen“ direkt aus dem Wortbaukasten der AfD entnommen…
Die Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen stellt fest: In Waldeck wurde besonders offensichtlich, welche Auswirkungen eine industrielle Mastanlage für Mensch, Tier, Umwelt und Natur hat. Wir begrüßen die Entscheidung des Investors, sein Vorhaben nicht umzusetzen. Gleichzeitig hoffen wir, dass dies ein Zeichen auch für andere Landwirte ist, nicht dem Lockruf des vermeintlich sicheren Wachstums zu folgen. Mastanlagen im industriellen Stil haben keine Zukunft! Nordhessen darf und wird nicht der Ersatzstandort der Fleischindustrie für Niedersachsen werden, wo nichts mehr geht.
Unter anderem das Ergebnis der hessischen Landtagswahl hat gezeigt, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, gegen jede Vernunft auf die Schönfärberei der Lebensmittelindustrie hereinzufallen. Zukunftsorientierte, ökologische Kriterien für politische Weichenstellungen führen kein Nischendasein mehr. Auch deshalb wird die Massentierhaltung in absehbarer Zeit in Deutschland und Europa weniger Absatzmärkte finden. Wenn wir allerdings hier in Nordhessen Fleisch für den Weltmarkt produzieren auf Kosten der natürlichen Ressourcen und der Umwelt, dann werden unsere Enkelkinder uns zu Recht in wenigen Jahrzehnten verfluchen.
Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen e.V.
Andreas Grede, Vorstand und Sprecher