Wenn man die politischen Debatten der letzten Woche in der Presse verfolgt, könnte man meinen, Deutschland würde von Flüchtlingen überflutet und es gäbe überhaupt nur dieses eine Problem. Die Rechtspopulisten von AfD bis CSU fordern lautstark, man müsse endlich die Grenzen dichtmachen, um Deutschland zu retten. Die Realität – die abnehmende Zahl von Asylsuchendenden – spielt dabei keine Rolle. Insofern haben sich Trump´sche Denk- und Handelsmuster schon bei einigen verfestigt.
Deutschland retten. Zukunft sichern. Grenzwerte. Seltsam, dass niemand dabei an Berichte denkt, die sich ebenfalls aktuell reichlich in der Presse finden. Nur leider nicht so prominent. Dennoch, die Summe der meist eher kleinen Meldungen gibt ein wirklich bedrohliches Bild. Reale Gefahren, seit Jahren bekannt und dennoch kaum beachtet.
In punkto Umwelt- und Naturschutz werden in Deutschland permanent Grenzen überschritten. Seit Jahrzehnten kann man schon sagen. Seit 1991 gilt die EU-Nitrat-Richtlinie. Sie soll das Grundwasser, also letztlich Trinkwasser, vor Stickstoffdüngerresten aus der Landwirtschaft schützen. Und natürlich auch das Flusswasser und die Meere. Bauernfunktionäre sagen: Die Stickstofffracht hat sich in den letzten 25 Jahren halbiert. Stimmt. Nur leider reicht das nicht.
Gülle und Massentierhaltung
Die frühere Umweltministerin Barbara Hendricks etwa betonte regelmäßig: „Die intensive Landwirtschaft kommt uns immer wieder teuer zu stehen.“ Sie wurde so zum Hassobjekt der Agrarindustrie. Fakt ist: Nicht nur in der Weser-Ems Region können Betreiber von Massentierställen die Exkremente längst nicht mehr auf eigenen Feldern ausbringen. Allein in Niedersachsen entstehen jährlich 3,15 Millionen Tonnen Gülle und Mist, geschätzte 130.000 Lastwagen-Ladungen karren Massen davon in andere Bundesländer. Keine Statistik gibt es darüber, wieviel davon in Nordhessen landet.
Der Gülle-Tourismus ist nur ein Aspekt der Massentierhaltung und einer verfehlten Landwirtschaftspolitik, die einseitig auf die Interessen der Nahrungsmittelindustrie und Finanzinvestoren ausgerichtet ist. Leider macht sich der Deutsche Bauernverband und ihr Präsident Joachim Rukwied genau dafür stark.
Auch die neue Düngemittelverordnung wird nicht ausreichende Verbesserungen bringen. Dazu sagt der Kieler Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube im Spiegel-Interview (Nr. 26/23.6.2018, Seite 99): „Einige Aspekte sind darin zwar besser geregelt, in der Summe bringt das aber keine Veränderung. Es gibt dort fast überall weiche Formulierungen, die Auflagen werden nie konkret.“ Nitrat im Grundwasser ist vor allem eine schwere Hypothek für künftige Generationen.
Auf die Frage nach konkreten Handlungsmöglichkeiten nennt Taube einen interessanten Ansatz. Die Bauern müssten verpflichtet werden, ihre Gülle-Buchführung extern machen zu lassen. So könne leicht kontrolliert werden, wer, gemessen an Erträgen, zuviel Dünger verbraucht habe. „In Dänemark müssen Landwirte bei Verstößen drastisch höhere Steuern zahlen. Schon diese Drohung hat wahre Wunder bewirkt.“ (Taube, ebda.)
Erst kürzlich hatte der EuGH die Bundesrepublik wegen Nichteinhaltung der Ziele – allerdings bis zum Jahr 2014 – verklagt. Der Bauernverband hält dieses Urteil deshalb nicht für relevant. Dabei könnten Strafzahlungen folgen. Die würde dann der Steuerzahler tragen, und als Verbraucher zusätzlich mit deutlich höheren Wasserkosten belastet.
Hilft die EU-Wasserrahmenrichtlinie?
Bis zum Jahr 2027 verpflichtet die EU-Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 die Mitgliedstaaten, ihre Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Bislang ist viel zu wenig passiert, denn Einzelinteressen zählen offenbar mehr als das große Ziel. Nun soll die Richtlinie „überarbeitet“ werden.
Der WWF nennt die Politik in Sachen Gewässerschutz konkret „Verschleppungstaktik“. Frei nach dem Motto: Wenn wir die Grenzwerte nicht einhalten können, definieren wir sie eben neu. Denn: „Schifffahrt, industrielle Landwirtschaft und Kohlebergbau beeinträchtigen unsere Gewässer massiv, die Unternehmen müssen aber nicht für Schäden aufkommen.“ Der WWF fordert gemeinsam mit BUND, DNR, NABU und der Grünen Liga: „Statt einer als Aufweichung getarnten Überarbeitung braucht es mehr Geld, mehr Personal und den politischen Willen, die praktische Umsetzung vor Ort bis 2027 angemessen durchzusetzen und auf Verstöße etwa durch Industrie oder Landwirtschaft zu reagieren.“
Auch Ammoniak ist ein Riesenproblem in der Massentierhaltung. So meldet die Osnabrücker Zeitung vom 30.6.2018: „Laut Agrarministerium lag der Ausstoß 2016 bei etwa 662.000 Tonnen, 2015 bei 670.000 und damit in beiden Jahren deutlich über den Grenzwerten. Eine Sprecherin der EU-Kommission stellte auf Anfrage unserer Redaktion fest: „Deutschland hat Maßnahmen zur Reduzierung der Ammoniakemission angekündigt, die jedoch bisher nicht zu einem Rückgang der gemeldeten Gesamtemissionen geführt haben.“
Zahlen über Zahlen. Zu kompliziert?
Wir hätten da auch mal einen ganz einfachen Lösungsvorschlag:
- Schritt: Verbraucheraufklärung. Am besten auch schon in den Schulen. Auch für Eltern.
- Schritt: Verdeckte Subventionen für Fleisch einstellen (halber Mehrwertsteuersatz).
- Schritt: Jeder kann was tun! Fleischkonsum deutlich reduzieren. Regional einkaufen. Qualität statt Masse. Fordern und handeln.
Und natürlich gehören dazu auch weitere Schritte: Förderung der ökologischen Landwirtschaft. Subventionen für bäuerliche und nicht für industrielle Landwirtschaft. Weg von den Weltmärkten hin zu einer regionalen Versorgung. Keine Privatisierung von Grundnahrungsmitteln wie Wasser…
Die neu gegründete Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen plant zahlreiche Aktionen (Infoveranstaltungen, Schulprojekte, Austellungen, Demos uvm.) noch für das Jahr 2018. Machen Sie mit, denn wir brauchen viele Hände und Köpfe! Schreiben Sie an kontakt@aga-nordhessen.de
(Autor: Andreas Grede, Vorstand und Sprecher der AGA-Nordhessen)
Quellenangaben:
http://www.fr.de/wirtschaft/eu-klage-der-guelle-wahnsinn-a-741773 https://www.wwf.de/2018/mai/buendnis-gegen-aufweichung-der-wasserrahmenrichtlinie/ https://www.noz.de/deutschland-welt/wirtschaft/artikel/1383993/nach-nitrat-urteil-deutschland-reisst-grenzwerte-bei-ammoniak-deutlich