Ein verpflichtendes Gütesiegel muss her!
Das Tierwohl ist zu Recht in den Fokus der gesellschaftlichen Debatte gerückt. Seit Jahren soll die Agrarpolitik reformiert und ein System geschaffen werden, dass das Tierwohl berücksichtigt und die Bedingungen in der Fleischproduktion verbessert. Neben dem Ökolandbau und Tierschutz- und Umweltverbänden fordern inzwischen auch der Bauernverband und mehrere Handelsunternehmen ein gesetzlich verpflichtendes und umfassendes Kennzeichnungssystem.
Laut BMEL-Ernährungsreport 2019 wollen immer mehr Menschen (86 Prozent) wissen, wie das Tier, das auf ihrem Teller gelandet ist, gelebt hat und wie es gestorben ist. Eine große Mehrheit wünscht sich dafür ein staatliches, unabhängiges Tierwohlkennzeichen (81 Prozent). Bei jedem Griff in die Fleischtheke müsste auf den allerersten Blick sichtbar sein, unter welchen Bedingungen das Tier gehalten wurde, dessen Fleisch der Verbraucher in der Hand hält.
Das vom Bundesministerium für Landwirtschaft im Februar 2019 vorgestellte Tierwohllabel umfasst drei Stufen und gilt ausschließlich für Schweine. Ziel der staatlichen Kennzeichnung sei es, dem Verbraucher sichtbar zu machen, bei welchen Produkten höhere als die gesetzlichen Standards bei der Haltung, dem Transport und der Schlachtung von Tieren eingehalten wurden.
Schaut man genauer hin, stellt man schnell fest, dass die Kriterien der Stufe eins nur minimal über dem gesetzlichen Mindeststandard liegen und weit davon entfernt sind, eine Haltung zu etablieren, die den rechtlichen Anforderungen entspricht. Demnach dürfte Schweinefleisch mit dem staatlichen Tierwohllabel beworben werden, obwohl den Tieren kurz nach der Geburt die Ringelschwänze abgeschnitten wurden. Seit 1994 ist dies in der EU untersagt und Amputation, so regelt es die nationale Haltungsverordnung, ist nur im Einzelfall erlaubt. Auch das Abschleifen der Eckzähne wäre erlaubt. Beim Platzangebot gibt es in der ersten Stufe kaum Verbesserungen zum gesetzlichen Mindeststandard mit lediglich 0,75 Quadratmeter für ein 110 Kilo schweres Mastschwein. Bekommt das gleiche Schwein die Fläche von zweieinhalb DIN A4-Blättern mehr Platz, erfüllt das bereits Klöckners Definition von Tierwohl.
Eine verbindliche Tierwohl-Kennzeichnung in Deutschland vorzuschreiben hält Julia Klöckner für unmöglich und warnt vor einer Überforderung der Landwirte. Ein national verpflichtendes Kennzeichen würde nach Meinung Klöckners zu einer EU-widrigen Diskriminierung führen. Darum beharrt sie auf die Freiwilligkeit. Ihr Ziel sei es aber, diese Kennzeichnung auf EU Ebene durchzusetzen, dafür wolle Sie die EU Ratspräsidentschaft nutzen. Ein Rechtsgutachten der Universität Bayreuth belegt, dass eine verpflichtende Kennzeichnung von Fleisch mit EU-Recht vereinbar ist, wenn sie einer freiwilligen Beteiligung von Importware offen steht.
Es gibt Widerstände von allen Seiten. Nutztiere in deutschen Ställen leiden – daran ändert auch das Tierwohllabel von Frau Klöckner nichts. Die Kritik richtet sich vor allem dagegen, dass das Label auf freiwilliger Basis eingeführt werden und sich auf die Schweinehaltung beschränken soll. Auch sei die Einstiegsstufe 1 deutlich zu niedrig, um von mehr Tierwohl zu sprechen, so Jutta Saumwebeber, Ernährungsreferentin der Verbraucherzentrale Bayern. Mehrere Umwelt – und Tierschutzverbände fordern eine verpflichtende Kennzeichnung für alle Fleisch – und Milchprodukte. Das von der Landwirtschaftsministerin erarbeitete Tierwohlkennzeichen greife viel zu kurz.
Im Bundestag liegt der Gesetzentwurf zum Tierwohlkennzeichen derzeit auf Eis. Denn dort wehrt sich die SPD weiterhin gegen die vom BMEL ausgearbeitete Freiwilligkeit. Auch aus den eigenen Reihen gibt es Gegenwind.
Matthias Wolfschmidt, Tiermediziner und internationaler Kampagnendirektor bei der Verbraucherorganisation foodwatch erklärt: „Egal ob verpflichtend oder freiwillig: Ein Label, das nur kennzeichnet, ob die Tiere ein paar Zentimeter mehr Platz, Einstreu oder vielleicht Auslauf erhalten, ist staatlicher Tierschutzschwindel. Das Tierwohllabel wird nichts daran ändern, dass Nutztiere in Deutschland massenhaft krank gemacht werden. Anstatt einer Haltungskennzeichnung brauchen wir endlich gesetzliche Vorgaben für die Tiergesundheit – die in allen Haltungsformen gelten und in jedem einzelnen Betrieb konsequent durchgesetzt werden. Es ist ein Dauerskandal, dass in deutschen Supermärkten Fleisch, Milch oder Eier verkauft werden, die von krank gemachten Tieren stammen.“
Nicht erst seit den jüngsten Schlachthof-Skandalen ist Billigfleisch in Verruf geraten. Handel, Fleischwirtschaft und Brancheninitiativen versuchen durch immer neue Tierwohllabel Vertrauen wiederzugewinnen. Viele große Supermarktketten (Aldi, Edeka, Kaufland, Lidl, Netto, Penny und Rewe) haben längst eigene Systeme entwickelt, mit dem sie Teile ihres Frischfleischs kennzeichnen. Das bekannteste Label ist das der Initiative Tierwohl (ITW). In einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Verbraucherzentralen wird allerdings deutlich, dass die Haltungskennzeichnungen des Handels den meisten Verbrauchern nicht bekannt sind, obwohl sie inzwischen auf einem Großteil der Fleischpackungen aufgeklebt sind. „Nur 28 Prozent der Befragten geben an, die Haltungskennzeichnung auf Fleischpackungen schon einmal gesehen zu haben.“ Die Begriffe „artgerecht“ und „Tierwohl“ haben kaum eine verbindliche Bedeutung. Nur ein einheitliches und verbindliches staatliches Siegel mit strengeren Standards kann gewährleisten, dass Verbraucher nicht getäuscht werden.
Für die Kunden wird Fleisch mit dem staatlichen Label wohl teurer werden. Mehr Platz und bessere Lebensbedingungen kosten Geld. Die Finanzierung des Mehraufwands auf der Erzeugerseite soll laut BMEL in erster Linie über den Markt (höherer Preis der Kennzeichen-Produkte) erfolgen.
Nach Zeitplan des BMEL sollten im Laufe des Jahres 2020 schon erste Produkte mit dem Tierwohlkennzeichen in den Läden liegen. Davon ist man derzeit noch weit entfernt. Stand heute sind noch viele Fragen offen, Klöckners Gesetzentwurf zum Tierwohllabel droht zu scheitern.
Fragen und Antworten zum staatlichen Tierwohlkennzeichen: