Tierische Proteine sind seit langem ein wesentlicher Bestandteil unserer Ernährung. Doch die Konsumgewohnheiten erleben einen Wandel. Pflanzenbasierte Ernährung boomt wie nie zuvor und bewegt sich mit großen Schritten aus der Nische heraus. Die Wertschöpfungskette formiert sich neu.
Dieser Trend ist unumkehrbar. So sieht das auch Olaf Koch, der im Spiegel-Interview von der Bedeutung von pflanzenbasierten Produkten spricht. Bis 2020 war Koch Chef des Handelsriesen Metro, jahrelang hat er tonnenweise billiges Fleisch an die Gastronomie verkauft, bis der Konzern 2015 mit der Investition in eine Indoor-Farm für Kräuter viele alternative Proteinprodukte ins Sortiment aufgenommen hat und damit enorme Wachstumsraten verzeichnete. Für Koch war es der Wendepunkt. Heute ist er sich sicher, dass wir Alternativen für Fleisch brauchen, die nachhaltiger und gesünder sind. Massentierhaltung verbrauche mit Blick auf den Klimawandel zu viele Ressourcen und bringe auch weitere Probleme mit sich. Nun hilft Koch jungen und innovativen Food-Techs mit Wachstumskapital und einem breiten Netzwerk. Dafür hat er den Food-Fonds Zintinus (inspiriert durch das lateinische „cintinuus“- nachhaltig) aufgelegt, mit dem er Investorengelder für Fleischalternativen sammelt. Für Koch sind Geschäft und Ethik kein Widerspruch, denn ohne lohnende Geschäftsmodelle werde der Wandel nicht funktionieren, sagt er.
Noch vor wenigen Jahren waren vegane Ersatzprodukte ein Nischenthema, inzwischen erlebt der Markt für Plant-Based-Produkte einen Boom. Jedes fünfte neu eingeführte Lebensmittel war 2021 vegan. In Deutschland wurden 2021 rund 98 000 Tonnen Fleischersatz hergestellt, 17 Prozent mehr als im Vorjahr. So machte die Rügenwalder Mühle im Geschäftsjahr 2021 bereits mehr Umsatz mit veganen und vegetarischen Alternativen als mit Fleisch- und Wurstprodukten.
„Spätestens seit der Pandemie hat bei den Verbrauchern generationsübergreifend ein Umdenken stattgefunden“, so Koch. Immer mehr Deutsche ernähren sich vegetarisch oder vegan und etwa jeder Dritte kauft laut Ernährungsreport öfter vegane oder vegetarische Ersatzprodukte, die Kundenzielgruppe für pflanzliche Alternativen wächst stetig. Neben gesundheitlichen Aspekten ist es auch die wesentlich umweltfreundlichere Herstellung, die Menschen bewegt, auf Fleischersatz umzusteigen. Nicht zuletzt spielen auch ethische Gründe, der Wunsch nach mehr Tierschutz, zunehmend eine Rolle. Dieser Markt mit seinem enormen Zuwachspotenzial schafft Anreize für mehr Produktentwicklung und mehr Wettbewerb. Die Zahl der Unternehmen, die in diesen Markt investieren und sich engagieren ist riesig. Es herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung.
Viele Ersatzprodukte im Plant-Meat-Segment wie zum Beispiel Beyond Meat konnten die Nachhaltigkeit steigern und sind bahnbrechend in Bezug auf die Geschmacksähnlichkeit mit Fleisch. Dafür gab es Kompromisse bezüglich der Rezeptur, denn zunächst war es der Branche wichtiger, den Beweis zu liefern, dass nachhaltige und fast wie Fleisch schmeckende Produkte möglich sind. Per se gesünder waren sie damit nicht.
Dabei gibt es ein breites Spektrum an alternativen Herstellungsprozessen. Interessant findet Koch vor allem die Fermentation, ein Verfahren, das wir seit Jahrtausenden kennen. In diesem Prozess lassen sich durch den Einsatz von Bakterien und Pilzen, bzw. Hefen, Lebensmittel so verändern, dass man Geschmacksverstärker, Bindemittel oder auch tierische Proteine ersetzen kann. Auch Milch oder Käse kann man durch die Präzisions-Fermentation alternativ – ohne Kuh – erzeugen. Und in Bioreaktoren können durch Biopsie gewonnene tierische Zellen zu Laborfleisch (In-vitro-Fleisch) heranwachsen. Allerdings gibt es beim Laborfleisch noch einige Hürden zu überwinden. Die Foodtech-Branche bekommt eine immer größere Bedeutung, auch wenn sie von Verbraucherseite zunächst mit Skepsis beobachtet wird.
Auch die Landwirtschaft wird für die Erzeugung pflanzenbasierter Produkte zukünftig eine immer größere Rolle spielen. Koch sagt sogar eine Blütephase für die Landwirtschaft vorher, gestützt durch neue Technologien. Seiner Meinung nach können wir in den kommenden Jahren mit mehr Vielfalt und Qualität rechnen und Dingen, die wir heute noch für unvorstellbar halten, bis hin zu einem ganzen Stück alternativem Fleisch, das zu 100 Prozent an das herankomme, was sich die Verbraucher wünschen. Sobald diese Produkte industriell erzeugt werden können, werden sie massentauglich und erschwinglich.
Unser Ernährungssystem steht enorm unter Druck. Nach einer Prognose der Welternährungsorganisation FAO werden bis 2050 annähernd 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben und zusätzlich 265 Millionen Tonnen Eiweiß pro Jahr für die Ernährung benötigt. Um den weltweit steigenden Proteinbedarf zu decken, wird sich in den kommenden Jahren das Verhältnis zwischen Tier- und Pflanzenprodukten stark verändern.
Umweltkatastrophen und der Klimawandel zwingen uns zum Handeln. Wir müssen die Erzeugung unserer Nahrungsmittel hinterfragen, verändern und die globalen Ressourcen nachhaltiger und sozial gerechter nutzen, wenn wir die Weltbevölkerung ernähren wollen. Dafür braucht es einen Wandel zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung und mehr Alternativen zu den bisherigen Proteinquellen.
Die Art und Weise, wie Lebensmittel produziert werden, muss ein Teil der Lösung im globalen Kampf gegen den Klimawandel sein. Mit der Reduzierung der tierischen und der Erweiterung der pflanzlichen Lebensmittelproduktion, der Umstellung auf eine regenerative Landwirtschaft und der Wiederbewaldung und Renaturierung von Flächen, die durch diese nachhaltigen Praktiken frei werden, können wir dem Klimawandel entgegenwirken. Studien zeigen, dass eine Umstellung auf pflanzenbasiertes Fleisch die Treibhausgasemissionen in diesem Bereich um bis zu 90 Prozent reduzieren kann. Weil für die Herstellung von Plant-Based-Meat auch weniger Anbaufläche benötigt wird, als für die Haltung von Tieren, werden erheblich weniger Ackerflächen und Wasser beansprucht. In Zukunft wird es eher ein vielfältigeres Angebot an verschiedenen proteinreichen Lebensmitteln aus unterschiedlichen Proteinquellen geben, um den steigenden Proteinbedarf zu decken.
Nicht immer sind Fleischersatzprodukte die beste Wahl. Viele dieser Nahrungsmittel sehen aus und schmecken wie das tierische Pendant, sind aber – ähnlich wie Mortadella – stark industriell verarbeitet und enthalten nicht selten Zusatzstoffe wie Stabilisatoren, Emulgatoren und Aromen. Ein Blick auf die Zutatenliste lohnt sich. Ersatzprodukte in Bioqualität erfüllen hingegen andere Kriterien, in den meisten Fällen enthalten sie keine bedenklichen Zusätze und werden biologisch aus hochwertigen Rohstoffen erzeugt. Darüberhinaus bietet die vegane und vegetarische Küche auch ohne Ersatzprodukte eine fast unendliche Vielfalt.
Unterm Strich sind Plant-Based-Produkte im Vergleich zu unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln also weniger umweltfreundlich und gesund. Dennoch haben sie ihre Daseinsberechtigung, denn sie können den Umstieg auf eine pflanzenbasierte Ernährung erleichtern. (mk)
Das Umweltbundesamt veröffentlichte den Trendbericht “Fleisch der Zukunft“, der die Umweltwirkung von pflanzlichen Fleischersatzprodukten, essbaren Insekten und In-vitro-Fleisch analysiert: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-06-25_trendanalyse_fleisch-der-zukunft_web_bf.pdf