Fakten und Vorurteile

Tag der Landwirtschaft am 12.2.2020 in Korbach. Gastredner war Gerhardt Schmidt.

„Wenn man nichts weiß, bilden sich Vorurteile“, betonte der Redner gleich zu Beginn und konnte der Zustimmung des Publikums gewiss sein. Am Ende des Vortrags mochte man eigentlich sagen: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Doch bleiben wir in der Chronologie des Abends.

Martin Vollbracht, der neue Kreislandwirt, zog gleich zu Beginn die Keule und zählte auf, mit welchen Vorurteilen die Landwirte konfrontiert würden von der ahnungslosen Gesellschaft. Der Landwirt als Prügelknabe der Nation, es ist das Lieblings- und Selbstbild, das momentan durch die Köpfe einer Berufsgruppe geistert, die es mit Sicherheit nicht leicht hat. Vollbracht monierte, dass die Gegner der Landwirte u.a. eine „bäuerliche Landwirtschaft“ fordern würden, was immer das heiße. Tipp: Wenn es gar nicht anders geht nachfragen, z.B. bei der AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft).

Somit war schon mal die Stimmung angewärmt und nun übernahm der Hauptredner. Gerhard Schmidt zündete ein Feuerwerk von Thesen und Behauptungen und betonte dabei stets seinen beruflichen Werdegang als Journalist, Studioleiter und Reisender, der engsten Kontakt zur Landwirtschaft pflege. Seine Fakten fußten vor allem auf wilden Berechnungen, die bei einem anwesenden Diplom Mathematiker nur Kopfschütteln auslösten, aber ihre Funktion erfüllten: viele Zuhörer waren beeindruckt, zumal die Botschaft immer klar war: Wir müssen immer noch mehr produzieren, denn die Menschheit wächst.

Den Einwand, dass Deutschland mit seiner begrenzten Fläche wohl schwerlich die Ernährung der Welt sichern könne, „entkräftete“ Schmidt mit einem Bekenntnis zu seiner „humanistischen Erziehung und Grundeinstellung“: Jeder Mensch müsse das Recht haben, alles essen zu können, was er wolle. Natürlich war da kein Raum für das Thema globalisierte Märkte und schon gar nicht, um im Detail auf die Segnungen von Lebensmittelexporten in die sogenannte (hungernde) Dritte Welt einzugehen. Da könnte einem ja spontan deutsches Milchpulver einfallen, dass von Konzernen wie Nestlé in Afrika zu Fruchtjogurts angemischt wird und dann als Markenprodukt verkauft wird. Die lokalen Milchbauern gehen an dieser Konkurrenz kaputt.

Keine Vorschriften, freier Markt, solche Aussagen kommen immer gut an. Auch mit anderen Plattheiten konnte der Redner dienen: Massentierhaltung sei ja gar nicht definiert. Dieses „Argument“ hat nun wirklich einen Bart. Zum Mitschreiben eine ganz einfache Definition: Massentierhaltung bedeutet zu viele Tiere auf zu wenig Raum. Doch Schmidt fantasierte auch hier: Tierhaltung in Deutschland habe sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert, warf er einfach mal kühl in den Raum und per Powerpoint an die Leinwand.

Erstaunlicherweise wurde aber nicht nur „Massentierhaltung“ als „Kampfbegriff“ gebrandmarkt, sondern auch der in vielen kritischen, seriösen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwendete Terminus „industrielle Landwirtschaft“. Ein rhetorischer Spagat, der eigentlich mit einem Leistenbruch enden musste, doch so genau hörte kaum jemand zu. Nein, alles wie es war und ist sei im Grunde in Ordnung, und nur Laien und Banausen würden immer neue Vorschriften ersinnen. Sogar das Thema Kastenstandshaltung in der Schweinemast bzw. -zucht, das am 14.2. auf der Tagesordnung des Bundesrats steht, wurde aufs Korn genommen (siehe Link am Ende). Alles dämliche und viel zu viele Vorschriften. Für so eine Aussage braucht man schon ein dickes Fell …

Fazit: Es ist schade, dass auf solchen Veranstaltungen Vorurteile gehegt und gepflegt werden. Vor allem jenes von dem bösen Verbraucher, der immerzu nur billig einkaufen wolle und keine Wertschätzung für landwirtschaftliche Produkte pflege. Erstaunlich, eigentlich sogar erschütternd ist es, wie die Lebensmittelindustrie von der Kritik verschont wird. Der Handel kommt auch nicht gut weg, aber Kern des Problems sei der Verbraucher.

Dabei wäre es sicher sinnvoll, mal hinter die Kulissen zu schauen. Bedenkt man all die Lebensmittelskandale der letzten Jahre, kann es kaum verwundern, dass „der Verbraucher“ nicht gerade tiefes Vertrauen hat in das, was er vorgesetzt bekommt.

So gab dann Herr Schmidt denn auch den Landwirten lediglich den Rat, eine bessere Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Womit klar ist: doofe Verbraucher, doofe Politiker, doofe Vorschriften. Und ihr macht eigentlich alles richtig.

Dennoch: am Rande der Veranstaltung gab es auch gute Gespräche. Die AGA sucht den Dialog mit Landwirten, die nicht völlig im Netz der Vorurteile kleben, die leider auch an diesem Abend reichlich serviert wurden.

Interessante Links zum Thema:

AGA-Protest gegen Kastenstandshaltung im Rahmen des Netzwerks „Kräfte bündeln“: https://aga-nordhessen.de/wp-content/uploads/2020/02/AGA-Pressemitteilung-Kastenst%C3%A4nde.pdf

Veranstalter des Tages der Landwirtschaft war der hessische Landesverband des vlf, der zum Bundesverband Landwirtschaftlicher Fortbildung vlf mit Sitz in der Claire-Waldoff-Straße 7 in Berlin gehört. Im selben Gebäude finden sich u.a. der Deutsche Bauernverband, das Forum Moderne Landwirtschaft und die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie.

Zur Geschichte des Verbandes die Selbstdarstellung: https://fachbildung.com/geschichte/