Alles wurscht?

So könnte man fast meinen, wenn man staunend die Berichte liest über die Zustände in der Berndorfer Wurstfabrik WILKE (Twistetal/Kreis Waldeck-Frankenberg). Und beinahe täglich, zumindest wöchentlich, kommen neue, „leckere“ Details an Tageslicht.

Und das nicht nur in Bezug auf mangelnde Hygiene. Das ganze System der Fleischindustrie wird hier exemplarisch sichtbar. So richtig aufzuregen, also so ganz richtig dolle, scheint es kaum jemanden. Da lesen wir in Nebensätzen von ausländischen Leiharbeitern, die vermutlich mit Werksverträgen als „selbstständige Unternehmer“ für Dumpinglöhne schuften mussten. Dabei gibt es kammerspielartige Possen, wenn die osteuropäische Vermittlungsagentur sogar einen Überfall des Lohntransportes vortäuscht.

Eine Posse scheinen auch – die stets rechtzeitig vorab angekündigten – Kontrollen gewesen zu sein. Man habe mit den Arbeitern gesprochen, heißt es von Seiten der Aufsichtsbehörden wie dem Zoll, der für Schwarzarbeit zuständig ist. Tatsächlich? Auf ungarisch oder rumänisch? Die Waldecksche Landeszeitung WLZ hat recherchiert und berichtet u.a., das Frauen 7 Tage pro Woche 12 Stunden und mehr täglich gearbeitet hätten – für 900 Euro Lohn. Denn sie mussten ja reichlich zahlen fürs Wohnen: 20 Personen teilten sich ein Badezimmer …

Das ist das System der Fleischindustrie: es wird mit 4 Stellen hinter dem Komma gerechnet, die Masse machts. Und schon kommen wir zum Verbraucher, dem Bösewicht. Der Handel sagt: der Kunde will billiges Fleisch. Die Fleischindustrie sagt: der Handel guckt nur auf den Preis. Der Landwirt sagt: die Fleischindustrie presst uns Billigpreise heraus. Scheinbares Fazit: Da kann man nichts machen. Wir müssen ja. Wenn nicht wir, dann tun es andere.

Wo sind wir gelandet? Der Verbraucher ist also die Wurzel allen Übels. Ach, wenn es doch so einfach wäre. Klar, der billige Mist wird gekauft. Jeden Samstag schreien uns ja auch die Werbebeilagen der Supermarktketten entgegen: Angebot. Superknüller. Sparen.

Vorschlag: Wie wäre es denn mal mit ein bisschen Aufklärung, u.a. seitens des Verbraucherschutzministeriums. Obwohl, das ist ja diesselbe Ministerin, die auch für die Landwirtschaft zuständig ist. Sie entwickelt über Jahre lieber ein wachsweiches „Tierwohl“-Label, eine Initiative, aus der der Deutsche Tierschutzbund nach kürzestester Zeit ausgestiegen ist und von „Verbrauchertäuschung“ sprach. Dann werden also ein gutes Dutzend Masthähnchen auf einem Quadratmeter Boden gehalten, um auf 35 kg/qm Schlachtgewicht zu kommen statt auf 39 kg/qm. Die Tiere fühlen sich vermutlich alleine schon deshalb sauwohl.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) setzt auf „Wachsen statt Weichen“ und bedient damit willfährig die Interessen der Fleischindustrie, billige Rohmasse für deren meist unappetitlichen Massenprodukte zu liefern. Gerne auch für den Weltmarkt. Und dann noch mit der höhnischen Begründung, man müsse ja schließlich den Welthunger bekämpfen. Der Bund Deutscher Milchviehhalter hat dies schon vor Jahren erkannt und sich aus diesem krakenförmigen Lobbyistenverband ausgeklinkt. Aber der DBV beherrscht weiterhin das Politikfeld und nimmt massiv Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung.

Ebenso heuchlerisch ist der Hinweis, viele Verbraucher müssten halt aufs Geld schauen und deshalb seien billige Lebensmittel notwendig. Und überhaupt würden ja nur die grünen Innenstadtökos Bio wollen und kaufen. Eigentlich sollte der DBV sich dafür einsetzen, dass angemessene Preise für hochwertige Lebensmittel gezahlt werden – aber die Funktionäre sind fest eingebunden in das System Fleisch. Ein System, dass an allen Stellen Gewinn abwirft – dank Ausbeutung von Tier und Mensch. Eben auf Kosten der Beschäftigten (siehe oben) und der Verbraucher.

Es ist allerhöchste Zeit, die Dinge beim Namen zu benennen. Auch ein vernünftiger Mindestlohn wäre ein Schritt für bessere, weil nachhaltige Ernährung, die sich dann die meisten Menschen leisten könnten. Doch solange die Profiteure des Systems sehr gut daran verdienen, wird es „von alleine“ keine Veränderung geben. Deshalb ist die Arbeit der NGOs unverzichtbar.