Unterstützung sieht anders aus: Wie die Agrarlobby kleine Landwirte instrumentalisiert

Inzwischen hat sie wohl jeder schon am Straßenrand auf den Äckern stehen sehen: die so viel diskutierten grünen Kreuze. Sie sind eine Protestaktion der Landwirte, die sich wehren wollen gegen immer strengere Auflagen – damit ist in erster Linie das von den Landwirtschafts- und Umweltministerien vorgelegte Agrarpaket gemeint. Vor allem der darin geplante verstärkte Insektenschutz, der durch Einschränkung des Einsatzes von Herbiziden und Insektiziden in Schutzgebieten erreicht werden soll. Weitere Punkte der Kritik sind u.a. Billigpreise für Fleisch und eine unfaire Handelspolitik (Stichwort Mercosur), vor allem aber das Gefühl der Landwirte, als „die Bösen“ hingestellt zu werden, ohne ein Mitspracherecht eingeräumt zu bekommen.

Der Protest der Landwirte ist berechtigt, denn gerade viele kleinere Betriebe befinden sich in einer echten Zwangslage. Der Begriff „Höfesterben“ ist längst kein Fremdwort mehr und schreitet seit Jahren nahezu ungebremst voran. Doch die gesamte Kampagne gerät, wenn man die anderen beteiligten Akteure und die buchstäblich ins Feld geführten Argumente mit ins Auge fasst, in eine ganz schöne Schieflage.

Die „steigende Auflagenflut“, wie sie in den Kampagnentexten zumeist tituliert wird, ist nicht per se falsch. Insektenschutz geht alle an. Wenn wir Insekten nicht schützen, werden es bald nicht mehr nur die Landwirte sein, die in eine echte Existenzkrise geraten, sondern alle Menschen, Tiere und Ökosysteme. Dass das Insektensterben real und keine haltlose Angstmache ist, wird inzwischen von fundierten Studien, so zum Beispiel einer umfassenden Untersuchung der TU München, belegt.

Das Problem sind also nicht die  Auflagen an sich, sondern dass sie vollkommen fehlgeleitet sind. Sie stopfen Löcher in einem System, das nicht funktionieren kann. Natürlich ist es ungerecht, wenn kleine landwirtschaftliche Betriebe mitunter kostspielige Auflagen umsetzen müssen, um die Umwelt zu schützen, während Flächenprämien so verteilt sind, dass der Löwenanteil nicht an diese kleinen Landwirte, sondern an wenige Riesenagrarkonzerne ausgezahlt wird. Die Antwort auf dieses Dilemma kann aber nicht sein, die Auflagen zum Natur- und Insektenschutz einfach zu streichen und sonst alles beim Alten zu belassen. Es muss einen allgemeinen Systemwechsel geben, in dem Umweltschutz für kleine wie große Landwirtschaftsbetriebe gut umsetzbar ist.

Dementsprechend ist es für Landwirte eigentlich auch nicht förderlich, gegen die Umschichtung der EU-Fördermittel zu protestieren, die im Agrarpaket vorgesehen ist. Auch hier kann man es nicht für grundsätzlich falsch halten, dass der Förderanteil, der von Direktzahlungen (erste Säule) in Förderung von Agrarumwelt- und Klimaleistungen und Förderung des ländlichen Raumes (zweite Säule) umgeschichtet wird, auf 6% steigt. Der Kern des Problems ist, dass dieser Anteil viel zu gering ist, um eine spürbare Entlastung herbeizuführen. Diese im Paket vorgesehene Umschichtung ist ohnehin Augenwischerei. Vonseiten der EU wäre nämlich eine Umschichtung von bis zu 15% möglich. Die Erhöhung klingt also nur gut in den Ohren der Wähler, bringt den Landwirten aber unterm Strich wenig und ist in Wahrheit alles andere als ein Vorangehen in großen Schritten. Im Vergleich zu den Summen, mit denen in der Agrarindustrie und –politik sonst gerechnet wird, sind 6% der Fördermittel lediglich „Peanuts“.

Die Liste der Argumente ließe sich noch sehr lange fortführen. Eins wird in jedem Fall deutlich: Es hat keinen Sinn, gegen Paket und Auflagen als Ganzes zu protestieren und quasi deren Rücknahme zu verlangen. Sinnvoller Protest müsste schlicht ein wesentlich komplexeres, ehrgeizigeres Programm  fordern. Es braucht größere Schritte vorwärts und mutigere Zielsetzungen anstatt immer weiter zu bremsen und auf der Stelle zu treten.

Die Frage ist also, ob sich die protestierenden Landwirte einen Gefallen damit tun, auf diese Weise gegen die geplanten Maßnahmen vorzugehen. Doch wer hat denn eigentlich ein Interesse daran, dass alles so bleibt, wie es jetzt ist?

Es fällt schwer, da keinen Zusammenhang mit Agrarkonzern-Riesen und der dahinterstehenden Chemie- und Gen-Lobby herzustellen. Denn die hätten natürlich überhaupt nichts davon, weniger Pflanzen- und Insektenschutzmittel, manipuliertes Saatgut (das gegen Herbizide resistent ist) usw. zu verkaufen. Eigenartig auch, dass der Initiator der Grüne-Kreuze-Aktion, „Bauer Willi“, in seinem bisherigen Karriereweg für verschiedene Agrochemiekonzerne tätig war (s. Artikel der taz), also ganz eng mit genau dieser Lobby verbunden zu sein scheint.

Wer mit der Agrarindustrie ebenfalls sehr eng verbandelt ist, ist der Deutsche Bauernverband (DBV). Das Stichwort hier ist „Multifunktionäre“. Es ist keine Seltenheit, dass Funktionäre des Bauernverbandes gleichzeitig Posten in der Agrarwirtschaft und manchmal obendrein noch Mandate im Agrarausschuss des Deutschen Bundestags oder gar im EU-Parlament innehaben. Wer hier eigentlich welche Interessen vertritt, ist teilweise kaum zu überblicken. In jedem Fall sind es zumeist wirtschaftliche Interessen, und zwar die der großen globalen Player. Nicht die der kleinen ländlichen Landwirtschaftsbetriebe. Da wundert es einen doch, dass es trotzdem genau sie sind, die jetzt aufstehen gegen den eingeschränkten Einsatz von Insektiziden und Glyphosat.

Der DBV sowie seine Unterverbände werden jedoch nicht müde zu betonen, dass sie mit der bundesweiten Kampagne nichts zu tun haben. Trotzdem inszeniert man sich gerne als der großzügige Gönner, der regionalen Landwirtschaftsbetrieben den Rücken stärkt. Selbst wenn man gewillt ist zu glauben, die „armen kleinen Landwirte“ seien ganz allein auf diese brillante PR-Aktion gekommen und der Bauernverband unterstütze sie tatsächlich nur dabei: Der Grad der medialen Ausschlachtung, bei dem der DBV sich stets ins beste Licht rückt, ist schon beachtlich. Es gibt kaum einen Bericht in den Medien, in dem nicht wenigstens einer seiner Funktionäre zu Wort kommt.

Deutschlands mächtigster Lobbyistenverein weiß sehr genau, wie er die Aktion für sich nutzen kann. Die Argumente, die im Zusammenhang mit den grünen Kreuzen immer wieder genannt werden, passen sowieso wesentlich besser zu dessen Interessen. Einbrechende Absatzzahlen von Glyphosat und Insektengiften, eine abgebaute EU-Flächenprämie und schlechtes Marketing durch ein Tierwohllabel sind ja schlecht fürs Geschäft eines ganzen Wirtschaftszweiges und für einen Verband, der immer weiter in den Weltmarkt hineinwachsen will.

Statt dieses ständigen Schielens nach globalen Absatzmärkten und dem propagierten „Größer, Weiter, Billiger“ brauchen wir aber eine kleinstrukturierte, regionale Landwirtschaft mit reellen Preisen und gesunden Böden. Einfach keine Vorkehrungen zum Naturschutz zu treffen, wie es sich Agrarlobby und Großkonzerne offensichtlich wünschen, ist kein Lösungsansatz. Um Umweltauflagen und Insektenschutz kommen wir nicht herum, auch wenn es unbequem und aufwendig für die Landwirte ist. Die Politik muss dafür aber kleine Betriebe beim Umsetzen der Auflagen unterstützen.

Das würde den Landwirten, die zurzeit grüne Kreuze aufstellen, dann auch tatsächlich helfen.  Stattdessen werden sie vorgeschickt, um Stimmung zu machen gegen eine Politik, die von niemand anderem als dem Deutschen Bauernverband maßgeblich beeinflusst wird und nun zum ersten Mal gegen dessen Willen wenigstens einen kleinen Schritt in die richtige Richtung macht. Dieser Zusammenhang wird aber dezent unter den Teppich gekehrt.

Was hier gemacht wird, ist keine Unterstützung kleiner Landwirte. Es ist eine gezielte Instrumentalisierung ihrer Notlage für die eigenen Zwecke. Wer sich in der aktuellen Debatte als „Versteher der armen Landwirte“ aufspielt, sind in Wirklichkeit die, die eine Verbesserung der Situation die ganze Zeit aktiv verhindern.

Man muss Sorgen und Nöte der Landwirte ernst nehmen. Gute, nachhaltige Landwirtschaft muss wieder mehr wertgeschätzt und das Höfesterben endlich aufgehalten werden. Aber nicht, indem man Umwelt- und Artenschutz sowie sinnvolle politische Veränderung ebenfalls verhindert.

Beitrag von Julia Leitherer