Blockade der Plukon-Zufahrten Ende Mai (Foto Jörg Warlich)
Gudensberger Plukonien: Wie man´s macht ist´s falsch!?
von Wolfgang Poppitz
Jetzt – wo die Wahl vor der Tür steht – wollen wir es zunehmend auf den Punkt bringen. Da ist es wie beim Jahreswechsel, der Weg in’s Neue Jahr ist mit vielen guten Vorsätzen gepflastert. Doch schon im Frühjahr können wir uns häufig gar nicht mehr daran erinnern. Erst beim nächsten Mal fällt es uns siedend heiß wieder ein. Da war doch was.
Doch eine Welt im Umbruch bringt so viele Baustellen, dass es schwer fällt, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Zudem gehört zu diesem Umbruch, dass wir alle nicht mehr in der gleichen Welt zu leben scheinen. Gerade vor der Wahl werfen wir genau dies den Politikern vor. Und wir fühlen uns bestätigt, wenn Angeordnete Hunderttausende, ja Millionen, an Krisen verdienen. Haben zumindest diese Abgeordneten eigentlich noch ein Interesse daran, Krisen zu beenden?
Im Grunde ist es gefühlsmäßig und gedanklich auch gar nicht mehr so einfach, in einer gemeinsamen Welt zu leben, denn so vielfältig und mobil ist unser modernes hoch arbeitsteiliges Leben geworden.
Wie ist denn das mit uns, dem „Volk auf der Straße“? Machen wie das anders, im Beruf, in der Familie? Oder nutzen auch wir die Gelegenheiten, um zu gewinnen oder nur um es uns gemütlich zu machen?
Es ist nicht einfach für den Jäger und Sammler, sich in einer solchen Welt zurecht zu finden und das Richtige und Angemessene zu tun.
Jäger und Sammler? Ja, zumindest Wissenschaft macht sich da eigentlich keine Illusionen. Die natürliche Entwicklung läuft langsam. Deshalb ist unsere genetische Grundlage, also auch die Grundausstattung unseres fühlenden und denkenden Gehirns eine aus unserer Zeit als Jäger und Sammler. In Pubertät und frühem Erwachsenenalter können wir das besonders gut an jungen Menschen beobachten. Erst unsere Bildung, unsere soziale Verständigung und unsere heutige arbeitsteilige Methodik der Problemlösung macht uns zum echten Homo Sapiens – oder besser: zum werdenden Menschen, der noch lange nicht alles hat, was er braucht, um glücklich mit dieser Welt im Einklang zu leben.
In Nordhessen bewegt uns gerade die stundenlange Stillegung eines der größten Geflügelschlachthöfe Europas. War das gut und war das richtig?
Oh je, jetzt braucht der Jäger und Sammler, der ja erst seit gut zehntausend Jahren sesshaft geworden ist, ein Instrumentarium, wie in der heutigen Welt das Wesentliche vom Unwesenlichen sowie das Angemessene vom Unangemessenen zu unterscheiden ist.
Nicht alles was wir im guten Glauben tun, ist auch wirklich gut. Auch die Republikaner, die im Januar das Capitol gestürmt hatten, waren im guten Glauben. Da sind wir schon beim nächsten Problem. Wenn die Hälfte der US-Amerikaner etwas glaubt und die andere etwas anderes, so helfen keine theoretischen Wahrheitsüberlegungen. Beide Seiten haben ihr Überlebens- und Lebensrecht. Und deshalb geht es letztlich eben nicht darum, wer Recht hat, sondern darum, wie wir aus einer solchen Misere herauskommen.**
War also die Aktion in Gudensberg sinnvoll, um die Agrarwende zu befördern? Im Grunde ist schon die Frage falsch. Und die Antwort wird je nach Interessenlage und Informationsstand ganz anders sein. Für die AGA stellt sich diese Frage eigentlich gar nicht, denn sie ist keine Bürgerinitiative sondern eine Dachorganisation, die helfen will, die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Deshalb versucht die AGA belastbare Mehrheiten und Bündnisse zu fördern und sich nicht in Bewertungen zu verlieren, die die Bewegung spalten könnten. Die institutionellen Mitglieder (Bürgerinitiativen, Umweltgruppen u.a.) und natürlich auch die Personen, die als Fördermitglieder die AGA unterstützen, sind notwendigerweise frei, das zu tun, was sie für richtig halten. Und das ist grundsätzlich gut so.
Ohne Aktionen für höhere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit geht augenscheinlich eine politische Entwicklung nicht voran. Und die so genannten Macher und Betroffenen in Wirtschaft und Politik brauchen Impulse, sei es durch Demonstrationen oder wie jetzt zur Umwelt- und Klimapolitik durch das Bundesverfassungsgericht.
Stellen wir mal zu Plukon Gudensberg fest, was oft aus dem Blick gerät: Der Gudensberger Schlachthof ist eine Geldmaschine und dient nicht dazu, die notleidende Bevölkerung in Deutschland vor dem Hungertod zu bewahren.
Plukon betreibt seit vielen Jahren zunehmend eine ganz andere Unternehmenspolitik, die sogar auf der deutschen Website, noch besser auf der holländischen Website zu lesen ist. Nur durch die schlechten, veralteten deutschen Bestimmungen, die unangemessen die Fortentwicklung der Agrarpolitik verzögern und behindern, ist es möglich, in Gudensberg einen Großschlachthof zu betreiben. Der wäre in den Niederlanden in dieser Form gar nicht genehmigungsfähig. Da aber mit dieser Produktionsweise viel Geld zu verdienen ist, wird sie weiter betrieben und ist sogar in den letzten Jahren noch erheblich ausgebaut worden.
Die jüngste Aktion der Mitarbeiter von Plukon zusammen mit der Gewerkschaft NGG in Gudensberg zeigt, dass es neben Tierwohl auch um Menschenwohl geht. Die öffentlichkeitswirksame Blockade durch junge Aktivisten hat den Blick mal wieder auf eine Wunde unseres Argarsystems gerichtet. Die Blockade war weder agressiv, noch hat sie nennenswerte wirtschaftliche Folgen für das Plukon-Unternehmen gehabt, das sich ja – wie gesagt – ohnehin auf (Schatten-)Kosten* der deutschen Bevölkerung bereichert. Insofern war sie auch gut, damit es nicht zu Schlimmerem auf beiden Seiten kommt.
Das ist nämlich auch Demokratie, mit angemessenen Aktionen zu verhindern, dass Missstände immer weiter auswuchern, bis sie gar nicht mehr oder nur noch mit Gewalt zu beenden sind. Eine parlamentarische Demokratie braucht auch die konstruktive Auseinandersetztung der Bevölkerung mit ihren Regierungen auf allen Ebenen des Föderalismus. Wir sehen gerade in jüngster Zeit die schrecklichen Folgen in den Ländern, wo das nicht mehr richtig funktioniert.
Was meinen Sie, meinst du? Schreibt mir unter Ein-gutes-Leben-leben@gremien.org eure Meinung, wie es weiter gehen kann, auch wenn die Zeit nach den Wahlen wieder den Mantel der Alltäglichkeit darüber ausbreitet.
*Schattenkosten: Kosten, die in Produkten (bspw. bei Plukon) nicht eingepreist sind, müssen von der Allgemeinheit bezahlt werden. Produkte tierischen Ursprungs müßten daher dreimal so teuer sein, damit diese Kosten nicht der Allgemeinheit zur Last fallen.
** Klarstellung durch den Autor aufgrund einer Leserrückmeldung:
Nach einer Textkürzung ist das Beispiel mit den US-Amerikanern versehentlich missverständlich geworden. Es soll lediglich den strategischen Zusammenhang zwischen theoretisch-ethischer und praktisch-zielführender Herangehensweise aufzeigen, aber keinesfalls (!) die Blockade von Plukon mit dem Sturm auf das Capitol vergleichen. Am Protest vor und im Capitol gemessen, war die Plukon-Blockade geradezu demokratisch vorbildlich. An der Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung gemessen, ist wohl eher der vermeintlich gute Glaube von Plukon fraglich.
Wolfgang ist Gründungsmitglied der AGA und hat seinerzeit u.a. die Vereinssatzung ausgearbeitet. Sein Meinungsbeitrag bezieht sich auf die Plukon-Blockade am 26. Mai, an der die AGA nicht beteiligt war.
Einen Eindruck der Aktion gibt das Video von Jörg Warlich
und der Kurzbeitrag der Hessenschau
Ein Video zur Protestaktion der NGG auf dem Gudensberger Marktplatz