Pestizidzulassungen trotz akutem Gesundheitsrisiko für Föten und Kinder

Eine Untersuchung der Stockholm University zeigt Sicherheitslücke auf

Mehrere Chemiekonzerne wie Bayer und Syngenta haben in EU-Zulassungsverfahren von Pestizidwirkstoffen Studien zurückgehalten und damit den europäischen Behörden relevante Untersuchungsergebnisse über erhebliche Entwicklungsstörungen bei Föten und Kindern vorenthalten.

Studien zur Entwicklungsneurotoxizität sind nach wissenschaftlichem Konsens sehr ernst zu nehmen. Das sich entwickelnde Gehirn reagiere sehr empfindlich auf Pestizide, sagt der französische Neurologie-Professor Yehezkel Ben-Ari. „Wir wissen, dass das Auswirkungen auf das ungeborene Kind hat, wenn die Mutter Wirkstoffen ausgesetzt ist.“ Die Entwicklungsstörungen seien nicht nur bei Versuchstieren, sondern auch bei Menschen in zahlreichen Studien nachgewiesen. Es hat sich gezeigt, dass durch Chemikalien verursachte Störungen der Gehirnentwicklung zu vielfältigen Folgen führen, wie z.B. einem Rückgang des Intelligenzquotienten und Aufmerksamkeitsdefiziten. Autismus könne eine Folge sein. Neben individuellem Leid können solche Störungen auch erhebliche sozioökonomische Folgen haben.

Dem Chemiker Axel Mie und der Toxikologin Christina Rudén, zwei Forschenden der Universität Stockholm war aufgefallen, dass eine Studie aus dem Jahre 2001 zu neurotoxischen Auswirkung des Wirkstoffs Glyphosat-Trimesium zu keiner Zeit den EU-Zulassungsbehörden eingereicht worden war. Daraufhin glichen sie systematisch ab, welche DNT-(developmental neurotoxicity) Studien für Pestizidwirkstoffe bei der US-Umweltbehörde Environment Protection Agency (EPA) eingereicht wurden und welche bei den Zulassungsbehörden der EU. Neun Studien von 35 (26%), die bei der EPA eingereicht wurden, haben in der EU nicht vorgelegen. Bei sieben davon, so heißt es, hätten nach Ansicht der Wissenschaftler die Ergebnisse Einfluss auf den Zulassungsprozess haben können. Obwohl Hersteller verpflichtet seinen, alle wichtigen Daten vorzulegen, handele es sich hier mitnichten um eine Ausnahme, sondern um ein wiederkehrendes Phänomen. Es sei also vorstellbar, dass eine Nichtoffenlegung auf die Absicht zurückgehe, das Einreichen von Daten zu vermeiden, die eine Zulassung unwahrscheinlicher machen würden.

Das spätere Bekanntwerden der zurückgehaltenen Studien führte bisher in drei Fällen zu einer Neubewertung der Pestizide. In vier Fällen prüfen die Behörden derzeit noch, ob eine Änderung der Zulassung erforderlich sei.

Für den Wirkstoff Abamectin zum Beispiel, der Schädlinge auf Obst und Gemüse bekämpft und der 2009 europaweit zugelassen wurde, hatte Syngenta zwei Studien zur Entwicklungsneurotoxizität aus den Jahren 2005 und 2007 nicht übermittelt. Etwa ein Jahrzehnt später, als die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von den Studien erfuhr wurde er anders eingestuft. Die Gesundheitsexperten senkten die Referenzwerte aufgrund der Erkenntnisse zur neurotoxischen Wirkung von Abamectin deutlich ab. Die Prüfbehörde folgerte in ihrem Prüfbericht aus 2021, dass bei zwölf Obst- und Gemüsesorten, die mit dem Wirkstoff behandelt werden durften, ein „akutes Risiko“ für den Menschen nicht ausgeschlossen werden könne. Bei Äpfeln und Birnen solle das Mittel zur Schädlingsbekämpfung nicht mehr angewendet werden.

Bevor Pestizide in der EU eingesetzt werden dürfen, müssen sie ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Die Industrie muss nachweisen, dass das jeweilige Mittel für Mensch, Tier und Umwelt verträglich ist. Die für den Prüfprozess erforderlichen Daten stellen die Pestizidhersteller in Form von Studien zur Verfügung, die sie selbst in Auftrag geben und bezahlen. Die Behörden bewerten diese Studien und ziehen daraus eine wissenschaftliche Schlussfolgerung, die dann entweder zur Genehmigung oder zu einer Nichtgenehmigung führt. Wenn allerdings nicht alle der von den Unternehmen selbst durchgeführten Studien vorliegen, entstehe nach Aussage der WissenschaftlerInnen eine Sicherheitslücke in den Zulassungsverfahren.

Hersteller, bzw. Zulassungsinhaber sind verpflichtet, potenziell schädliche oder unannehmbare Auswirkungen von Pestiziden an die zuständigen Behörden zu melden. „Wenn die Industrie diese Beweise zurückhält“, sagt die Toxikologie-Professorin Christina Rudén, „dann bedeutet das für mich, dass sie ihrer Verantwortung nicht gerecht wird.“ Dann könnten Behörden nicht beurteilen, ob die Produkte sicher seien oder nicht und Verbraucher könnten gefährdet werden.

Ein besserer Datenaustausch zwischen den amerikanischen und europäischen Behörden könne das Risiko für europäischen Verbraucher minimieren. Darüberhinaus sollten sämtliche Studien ausschließlich von Behörden beauftragt und in Laboren mit hohen Standards durchgeführt werden.

Bayer und Syngenta weisen unterdessen die Vorwürfe zurück. Ein Bayer-Sprecher sagte, das Unternehmen habe „immer die notwendigen Studien vorgelegt, die von den damaligen EU-Vorschriften verlangt wurden“, während Syngenta erklärte, es habe „alle Datenanforderungen der EU und der Schweiz erfüllt.“ Man habe die Studien bezüglich der Toxizität des Wirkstoffs so eingestuft, dass sie keine neuen Erkenntnisse hätten. (mk)

https://ehjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12940-023-00994-9

https://www.bfr.bund.de/cm/343/studie-zur-transparenten–zulassung-von-pflanzenschutzmitteln-hersteller-sollten-alle-verfuegbaren-untersuchungen-zu-einem-wirkstoff-einreichen.pdf

https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/mehrere-pestizid-hersteller-hielten-bei-der-zulassung-wichtige-studien-zurueck,TfqDsKQ#:~:text=Mehrere%20Pestizid%2DHersteller%20haben%20bei,Gesundheitsgefahren%20für%20Föten%20und%20Kinder.