Nun haben sich die EU-Staaten also auf eine Reform der Agrarpolitik verständigt. Es geht um die Verteilung von hunderten Milliarden Euro. Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner leitete die Verhandlungen und nannte das Ergebnis einen „Systemwechsel“.
Dabei geht nach wie vor der größte Teil der Subventionen an Großbetriebe, denn gezahlt wird nach der Größe der bewirtschafteten Fläche.
Helga Schmidt, ARD-Studio Brüssel, kommentierte am 22.10.2020: „Subventionen für die Landwirtschaft sind wichtig. Ohne sie könnten die Bauern in Europa keine Lebensmittel erzeugen. Das niedrige Niveau der Weltmarktpreise würde sie erdrücken. Aber die Art und Weise, wie die EU die Subventionsmilliarden mit der Gießkanne auskippt, ist ein Skandal.
Eine Chance, das zu ändern, haben die Agrarminister verpasst. Ihre Beschlüsse klingen so, als hätten sie noch nie etwas von Artenschwund gehört, nichts von Bodenerosion und Erderwärmung […] Europas Agrarpolitik bleibt unsozial, und sie setzt weiter ökonomisch die falschen Anreize. Belohnt wird, wer zu billig und zu viel produziert …“
Bauernpräsident Rukwied twitterte sogleich, dass sich in Deutschland die Mittel für Agrarumweltmaßnahmen mit etwa 1,8 Mrd. Euro mehr als verdoppeln würden: „Die Kritik von Seiten des Naturschutzes, hier werde ein „Weiter so“ praktiziert, entbehrt daher jeder Grundlage.“ Nun ja, wenn man die Gesamtsumme von fast 60 Mrd. Euro Agrarsubventionen betrachtet …
Mit den Eco-Schemes (Öko-Regeln) will man der gesellschaftlichen Kritik begegnen, die in großer Mehrheit eine Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes und besonders andere Haltungsbedingungen für Tiere fordert. Klimafreundliche Weidehaltung statt ausschließliche Stallhaltung, weniger Pestizide im Ackerbau, das klingt doch gut. Nur: der sogenannte „Kompromiss“ lässt den einzelnen Ländern massiv Gestaltungsspielraum für die Regeln.
Damit ist vorhersehbar, was passieren wird. Je lockerer einzelne Staaten die Bedingungen setzen, umso mehr haben deren Landwirte Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt. Also exakt der falsche Impuls, denn auch der Deutsche Bauernverband wird über die Bevorzugung europäischer Nachbarn klagen (z.B. aus Osteuropa, wo auch reichlich Klimaleugner in der Regierung sitzen). In Folge wird man auch für Deutschland eine Aufweichung von Umweltmaßnahmen fordern.
Direkt am Ort des politischen Geschehens ist Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der GRÜNEN Fraktion im Europaparlament. Zum sogenannten „Systemwechsel“ stellt er fest: „Wer das als Fortschritt verkauft, wie Ministerin Klöckner, der führt die Bevölkerung in die Irre. Tatsächlich ist dieser Beschluss ein Rückschritt und stellt keine zukunftsfähige Lösung dar. Die Mitgliedsstaaten haben sich schon bisher darin gefallen, Natur-und Umweltschutz eher zu ignorieren. Dieses Agrarpaket ist geradezu eine Einladung dazu.“ (Presseerklärung vom 21.10.2020 zum „Green Deal“)
Die übergroße Mehrheit der Zivilgesellschaft will mehr Klima- und Umweltschutz, bessere Tierhaltung. „Gegen derartige Mehrheiten kann man dauerhaft keine Politik machen. Eigentlich. Die Bauernvertreter in der EU versuchen es trotzdem“, resümiert Markus Becker in der aktuellen Ausgabe des Spiegel. Und folgert: „Es wird Zeit, der viel zu mächtigen Agrarlobby das Handwerk zu legen – und den vielen Politikern, die sich zu ihren Dienern machen.“