Süße Freiheit oder Werbeverbot?

Kinder unterscheiden beim TV-Konsum nicht immer zwischen Werbung und Realität

Es läuft so gut mit „kindgerechten“ Produkten: Ob Danone Fruchtzwerge oder Müllermilch, wer im Supermarkt kleine Kinder beim „Einkauf“ beobachtet, ahnt, was gefragt ist. Doch es droht Unheil. Zumindest für die Lebensmittelindustrie. Während seine Vorgängerin sich noch mit Nestle Produkten vorführen ließ, plant Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Özdemir ein Werbeverbot für ungesunde Nahrungsmittel im Umfeld von Kindern und Jugendlichen.

Das tut natürlich weh. Es bedeutet Probleme für die werbetreibende Industrie ebenso wie deren Dienstleister, den Agenturen sowie Medienhäusern. Kein Wunder, dass auch hier die FDP sogleich beflissentlich zur Stelle ist. Ebenso wie beim Verbrennungsmotor – Gruß an Porsche in Zuffenhausen – oder dem Tempolimit generell, beim Klimaschutz in punkto Wärmeenergie in Wohnhäusern oder der Massentierhaltung (erinnert sei den Bundestagsabgeordneten Gero Hocker) wird von den Gelben lautstark die Freiheit der persönlichen Entscheidung betont.

Klar, ein vierjähriges Kind, das früh morgens Kinderfernsehen schaut und kaum zwischen Werbung und Unterhaltungssendung unterscheiden kann, hat natürlich die „Freiheit“, beim nächsten Einkauf mit den Eltern nicht lautstark den Kauf von Kinderschokolade zu fordern. Ist eben das Problem der Eltern. Die müssen nur mit dem nötigen Hintergrundwissen verantwortungsvolle Kindererziehung umsetzen. Das kann doch nicht Aufgabe des Staates sein, oder? Die zunehmende Zahl übergewichtiger Kinder und diabetisch erkrankter Jugendlicher werden dabei einfach mal ausgeblendet. Das sind schließlich gesellschaftliche Folgekosten, die für den gelben Ampelpartner, wenn es um „Freiheit“ geht, nicht relevant sind.

Ein denkender Mensch fragt sich natürlich: Wann und wie sollen denn bitteschön all die Probleme gelöst werden, wenn immer nur alles auf die Zukunft verschoben wird? Für Klimaschutz sind wir ja mittlerweile alle – aber doch bitte nicht so konkret. Nein, es soll alles so bleiben wie bisher, höchstens noch ein bisschen bequemer.

Das geplante Werbeverbot im Umkreis von Kindern und Jugendlichen beinhaltet auch nicht, wie die Bild-Zeitung in üblicher Manier hetzte, eine Einschränkung für Milchprodukte, dies gilt nur dann, wenn sie überzuckert sind. Verboten werden soll vielmehr Werbung für Produkte, die einen zu hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt haben laut Empfehlungen der WHO. Damit würde Özdemir schlicht umsetzen, was im Koalitionsvertrag der Regierung festgehalten ist.

Wen wundert es, dass der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) protestiert und die geplanten Vorgaben gar für „verfassungsrechtlich bedenklich“ hält. Vermutlich würden nicht Millionensummen in Reklame investiert, wenn sie nicht wirken würde. Dabei kommt es gar nicht so auf eine einzelne Marke an. Wie beim Generic Placement geht es um die Produktgruppe. Das bedeutet: Gerade große Konzerne wie Haribo, Nestle oder die Ferrero Gruppe zählen fast immer zu den Profiteuren, wenn die Kleinen sich mit Junk Food vollstopfen.

Es gilt also, Pfründe zu verteidigen. So durfte auch der Lebensmittellobbyist Christoph Minhoff zu den Verbotsplänen in der Bild-Zeitung verbreiten: „Die alte Verbotspartei ist zurück. Die Grünen entpuppen sich als nicht markwirtschaftstauglich. Es geht nicht darum, die Kinder zu schützen, sondern die Erwachsenen zu erziehen.“

In den 1970iger Jahren warb mit Milka mit einem bekannten Slogan. Bezüglich der neoliberalen Wirtschaftsideologen möchte man in Abwandlung sagen: Die übliche Versuchung, seit es die Grünen gibt.

Aktuell zum Thema

„Das wird kein Kind dünner machen“. Ein Interview mit dem Top-Lobbyisten der Lebensmittelindustrie Christoph Minhoff aus der taz am 21.4.2023. Geschickt argumentiert der gegen Einschränkungen, Übergewicht sei „multikausal“ bedingt, also ein Werbeverbot nur „Symbolpolitik“. Kennt man aus anderen Branchen (Stichwort Tabakwerbung). Dennoch lesenswert: https://taz.de/Lebensmittelindustrie-ueber-Werbeverbote/!5927933/

Update Juli 2023

Wenn es um Profite geht, versteht die Industrie keinen Spaß. Egal wie ungesund oder umweltschädlich ein Produkt ist. Dann wird immer schnell von „Freiheit“ des Verbrauchers gesprochen. Werbung für Süßigkeiten im Kinderfernsehen verbieten? Geht gar nicht. Da werden lieber polemische Webseiten aufgesetzt wie lieber-mündig.de. Mündige Menschen fragen sich allerdings: Geht´s noch?

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat dagegen häufig die „freiwillige Selbstverpflichtung“ bei Werbung für Kinderlebensmittel als wirkungslos bezeichnet.

Der Faktencheck von RiffReporter widerlegt die Argumente der Lebensmittelindustrie. Lesenswert!


Dazu passt: „Fertigprodukte für Heranwachsende werden immer ungesunder„, schreibt die taz am 4.7.2023