Einkaufen wird immer teurer. Nicht nur subjektiv.
Unterm Strich haben Verbraucherinnen und Verbraucher den rasanten Anstieg der Preise für Nahrungsmittel auf die stark gestiegenen Rohstoffkosten und Energiepreise zurückgeführt. Inzwischen sinkt die Gesamtinflation in Europa, die Lebensmittelpreise bleiben aber weiter hoch. Im Vergleich zum Vorjahr sind sie sogar noch gestiegen. Im ersten Quartal lagen sie um knapp 15 Prozent über dem Vorjahresniveau, in Deutschland sogar um rund 22 Prozent.
Wie lässt sich das erklären? Dieser berechtigten Frage sind Forscher des Kreditversicherers Allianz Trade nachgegangen. „Wir beobachten, dass insbesondere Lebensmittelhersteller hungrig nach Profiten sind“, sagte der Allianz-Trade-Branchenexperte Aurélien Duthoit. Der Trend zu „übermäßigen Gewinnmitnahmen“ sei in ganz Europa zu beobachten, in Deutschland sei er aber besonders ausgeprägt. Vor allem in Deutschland ist die Inflation bei Nahrungsmittel hoch. Verglichen mit Frankreich und Italien, haben wir eine hohe Discounterdichte und einen hohen Anteil an verarbeiteten und verpackten Lebensmitteln. Insbesondere die Hersteller verpackter Lebensmittel erhöhen die Preise deutlich.
Mehr als ein Drittel der jüngsten Preissteigerungen bei Lebensmitteln, hierzulande sind es sogar über 40 Prozent, könne man nicht mit gestiegenen Rohstoffkosten und Energiepreisen erklären, heißt es in der Studie des Kreditversicherers. „Das ist deutlich mehr als vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg. Damals lag dieser „unerklärte Teil“ bei weniger als 3 Prozent“, erklärte Andy Jobst, Inflationsexperte und Leiter Makro-Kapitalmarktresearch bei der Allianz Trade. Die globalen Rohstoffpreise seien wieder stark rückläufig und auch Betriebskosten können nicht allein für den Preisanstieg verantwortlich sein. Unter Branchenkennern scheint es zunehmend Anzeichen für übermäßige Gewinnmitnahmen der Hersteller zu geben, die man in Bereichen mit besonders starken Preissteigerungen beobachten könne. Dazu gehören vor allem die Hersteller von Milchprodukten, Eiern und nicht-saisonalem Obst und Gemüse. Ein weiterer Treiber sei der unzureichende Wettbewerb.
Seit dem zweiten Halbjahr 2022 wächst der Umsatz stärker als der Kostenindex. Lebensmittelhersteller haben die Preise wesentlich stärker erhöht, als der Handel, der offenbar nicht alle gestiegenen Kosten an den Kunden weitergegeben hat. Bereits 2022 haben die Lebensmittelproduzenten in Deutschland rund 18,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr aufgeschlagen, der Einzelhandel hingegen nur 12,6 Prozent. Jahr für Jahr verhandeln große Ketten, wie Edeka, Rewe, Aldi und Lidl, erbittert um Preise und Konditionen. Seit Monaten streiten sich Edeka und führende Markenhersteller, denn Edeka weigert sich deren Preisforderungen nachzukommen. Bei der Präsentation des Jahresabschlusses fand Edeka Vorstandschef Markus Mosa deutliche Worte: „Obwohl etliche Rohstoffe etwa für Waschmittel, aber auch Weizen, Öle und Fette wieder billiger geworden seien, lasse die Gier derinternationalen Markenartikler noch nicht nach. Und wir können sie noch weniger nachvollziehen als im vergangenen Jahr.“
Allianz-Trade-Experten rechnen nicht mit einem schnellen Ende der Preissteigerungen und erwarten, dass sich in Deutschland in diesem Jahr die Lebensmittelpreise noch einmal um mehr als 12 Prozent verteuern. Jobst geht davon aus, dass die Lebensmittelpreise noch mindestens ein weiteres Quartal hoch bleiben, bevor dann eine rasche Normalisierung einsetzt. Allerdings bedeute das in vielen Fällen eher eine Stagnation, denn einmal durchgesetzte Preiserhöhungen würden erfahrungsgemäß nur selten zurückgenommen.
Laut Studie hat die anhaltende Teuerung bei den Lebensmitteln eine direkte Auswirkung auf den Binnenkonsum. „Wenn die Verbraucher mehr für Lebensmittel bezahlen, geben sie weniger Geld für andere Dinge aus, was eine wirtschaftliche Erholung verlangsamen könnte“, sagt Jobst. Ein weiterer Anstieg der Lebensmittelpreise um 20 Prozent würde Deutschland rund 0,5 Prozentpunkte des Wirtschaftswachstums kosten.
Den Vorwurf des Profithungers wies die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) sogleich zurück. „In der nur wenige Seiten umfassenden Studie der Allianz wird richtigerweise festgestellt, dass die stark gestiegenen und nach wie vor hohen Produktionskosten in der Lebensmittelherstellung die Inflation zeitverzögert getrieben haben“, sagte Geschäftsführerin Stefanie Sabet. Die Aussagen zu den Gewinnentwicklungen der Hersteller seien für sie allerdings weder nachvollziehbar noch methodisch belegt, die Anschuldigungen seien substanzlos angesichts rückläufiger Absatzmengen.
Grundsätzlich ist immer ein kritischer Blick der Politik und des Kartellamtes auf Handel und Lebensmittelhersteller notwendig, um zu prüfen, ob Unternehmen die Lage nutzen, um die eigenen Erträge zu maximieren. Marktmissbrauch muss vor allem bei überhöhten Preisen von Grundnahrungsmitteln sowie versteckten Preiserhöhungen durch geringere Füllmengen und veränderte Rezepturen verhindert werden, ganz besonders in Krisenzeiten. Wie sich Lebensmittelpreise entwickeln und wo Gewinne zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher mitgenommen werden, ist derzeit völlig unklar.
Mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges und den erheblichen Verteuerungen gab es eine öffentliche Diskussion darüber, wie die Bundesregierung mit der Verschärfung des Wettbewerbsrechts die Befugnisse des Bundeskartellamts stärken kann. Anfang April wurde die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das sog. Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz beschlossen. Das Gesetz sehe eine bessere Handhabe vor, um kartellrechtswidrige erlangte Gewinne wieder zu entziehen. Dort, wo die Marktstruktur dem Wettbewerb entgegenstehe, etwa weil es nur wenige Anbieter im Markt gibt und regelmäßig parallele Preisentwicklungen zu Lasten der Verbraucher zu beobachten sind, sollen die Eingriffsinstrumente des Kartellrechts geschärft werden. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen damit bessere Qualität zu besseren Preisen erhalten, so Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck.
Damit es nicht bei bloßen Worthülsen bleibt, sind nun Politik und Bundeskartellamt gefragt. Verbraucherzentralen fordern längst, dass die Preisentwicklung im Handel und bei Herstellern sowie versteckte Preissteigerungen zeitnah untersucht werden.(mk)
Die vollständige Studie finden Sie hier: