Darf dank „technischer Verlängerung“ weiterhin verwendet werden: Pedimethalin lässt sich auch weit entfernt vom Einsatzort nachweisen.
Agrarchemie nutzt lückenhafte Rechtssprechung
Das Umweltinstitut München und das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BEL) fordern ein Ende für Pendimethalin und gehen nun juristisch gegen die weitere Zulassung des Herbizids vor. Die Organisationen verweisen auf eine Vielzahl von Studien, die ernsthafte Gefahren für Umwelt und Gesundheit aufzeigen, und kritisieren die bisherige Risikobewertung und Einstufung des Stoffes.
Pendimethalin – ähnlich wirksam wie Glyphosat – wird in der konventionellen Landwirtschaft zur Bekämpfung von Unkräutern eingesetzt. Momentan sind in Deutschland 15 pendimethalinhaltige Substanzen zugelassen, unter anderem für den Einsatz bei Erdbeeren, Kern- und Steinobst, Fenchel, Spargel, Grünkohl, Getreide, Raps und Mais. Rund 700 Tonnen davon werden jährlich verkauft.
Pendimethalin ist nahezu überall
Im Ergebnis eines deutschlandweiten Messprojekts des Umweltinstitut München e.V. ist Pendimethalin besonders negativ aufgefallen. Es war das Ackergift, das am häufigsten gefunden wurde und das sich am weitesten verbreitete. In fast 90 % der Passivsammler, den Geräten zum Sammeln von Luftproben, und Rindenproben konnte das Herbizid nachgewiesen werden.
Der Wirkstoff steht im Verdacht krebserregend und hormonell wirksam zu sein und soll das ungeborene Kind im Mutterleib schädigen. Studien belegen außerdem ein erhöhtes Risiko für Nierenschäden und eine DNA-schädigende Wirkung. Pendimethalin ist nachweislich giftig für Wasserorganismen und Bodenlebewesen, schwer abbaubar und reichert sich so in der Umwelt an. Besonders besorgniserregend ist der durch eine Studie belegte Umstand, dass sich dieses extrem flüchtige Pestizid unkontrolliert über die Luft verbreitet. Es bleibt nämlich nicht an dem Ort, an dem es ausgebracht wurde, sondern lässt sich noch bis zu einer Entfernung von 1000 Kilometer – vereinzelt auch mehr – in einer hohen Konzentration nachweisen. Folglich ist der Unkrautvernichter nicht nur auf Äckern, sondern auch in Schutzgebieten, in Städten und Gärten, sogar im Hausstaub nachweisbar. Also gelangt das Gift auch dorthin, wo Menschen wohnen und Kinder spielen. Möglicherweise sind demnach Menschen, Tiere und Umwelt ständig dieser gefährlichen Chemikalie ausgesetzt.
Auch Ökolandverbände fordern seit Langem ein Verbot, denn der Wirkstoff verunreinige aufgrund seiner Flüchtigkeit auch die Ernten auf Bio-Anbauflächen in größeren Entfernungen. Dies bedeute nicht nur ein hohes wirtschaftliches Risiko für Biobauern, sondern gefährdet auch die Koexistenz ökologischer und konventioneller Landwirtschaft.
Aufgrund seiner Gefährlichkeit und der langen Verweildauer in der Umwelt steht Pendimethalin schon seit 2017 auf der Liste der Substitutionskandidaten der EU. Gemeint sind Substanzen, die als so gefährlich eingestuft sind, dass sie vom Markt genommen und durch Alternativen ersetzt werden müssten, die weniger gefährlich sind. Dabei sind längst nicht-chemische Alternativen bekannt. Landwirte können beispielsweise auf mechanische Methoden wie das Unkrautjäten mit Maschinen setzen oder den Unkrautdruck durch Maßnahmen wie Fruchtfolge, Untersaaten und Sortenwahl senken.
Freie Fahrt trotz hohem Gefährdungspotential
Ende November läuft die aktuelle Zulassung von Pendimethalin in der EU aus, trotzdem soll es bis Januar 2027 weiter eingesetzt werden dürfen. Eine Risikobewertung, die bei derartigen Stoffen als Grundlage für die weitere Genehmigung erforderlich ist, wurde von den zuständigen Behörden nicht rechtzeitig fertiggestellt. Die Abstimmung, dass der Wirkstoff noch weiter auf dem Markt bleiben darf, erfolgte trotzdem durch die EU-Kommission. Die sogenannte „technische Verlängerung“ macht dies möglich – sie ist eine äußerst fragwürdige Praxis und gleicht einem Freifahrtschein für die Anwendung gefährlicher Pestizide. Inzwischen wird sie beinahe routinemäßig angewendet und führt dazu, dass viele gefährliche Substanzen für weitere Jahre in unserer Umwelt landen, ohne dass ihre Risiken für Mensch und Umwelt anhand neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gründlich geprüft wurden. Das in der EU geltende Vorsorgeprinzip, das eine Zulassung schon bei möglichen Gefahren für Mensch und Umwelt ausschließt, ist mit dieser Praxis nicht vereinbar.
Umweltinstitut München und BEL ziehen vor Gericht
Rechtsanwältin Dr. Caroline Douhaire vertritt die beiden Vereine. In einem ersten Schritt haben sie bei der EU-Kommission eine interne Überprüfung der Genehmigung beantragt. Mit ihrer Klage wollen sie nicht nur erreichen, das Pendimethalin von unseren Äckern verschwindet, sondern streben ein Präzedenzurteil mit mit langfristiger Wirkung an. Das behördliche Verschleppen der fälligen Risikobewertungen von hoch gefährlichen Pestiziden müsse umgehend ein Ende haben – zur Not durch gerichtliche Anordnung. Auf dem Rechtsweg müsse geprüft werden, ob Zulassungsverlängerungen von Pestiziden ohne Risikobewertung dem Vorsorgeprinzip und dem geltenden EU Recht widersprechen.(mk)
Hintergrundpapier: https://enkeltauglich.bio/wp-content/uploads/Hintergrundpapier-zur-Pressemeldung.pdf
Die Studie des Bündnisses belegt die unkontrollierte Verbreitung von Pendimethalin über weite Strecken durch die Luft: https://umweltinstitut.org/wp-content/uploads/2023/01/20201006_UIM_Bericht_Pestizid-Messungen-deutschlandweit.pdf