Transformation der deutschen Agrarwirtschaft – Eine Empfehlung

Im vollen Rathaussaal Witzenhausen präsentierten der Historiker Norbert Franz (links) und Agrarexperte Hans-Jürgen Müller ihre Neuerscheinung

Wer liest, weiß mehr!

Wenn zwei Menschen aus eigentlich unterschiedlichen Fachrichtungen zusammenkommen, kann daraus eine interessante Gesamtbetrachtung werden. Das ist bei Norbert Franz und Hans-Jürgen Müller der Fall. Historiker mit Bezug zum „wirklichen Leben“ der eine, Agrarwissenschaftler mit dem Hintergrund eines Machers und Erfahrung aus dem politischen Leben der andere.

Bei der Buchvorstellung im Rathaussaal Witzenhausen zeigten die beiden Autoren, wie das zusammengeht. „Nachhaltige Landwirtschaft – sichere Ernährung. Die große Transformation der deutschen Agrarwirtschaft“ behandelt auf über 500 Seiten die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft. Schon im ersten Teil über die Agrarindustrialisierung erschließen sich auch durchaus kundigen Leser:innen Zusammenhänge, die wichtig sind für ein Verständnis des Ganzen und für einen Blick in die Zukunft.

Tatsächlich schafften es die beiden Verfasser, in nur einer Stunde ihre wesentlichen Thesen vorzutragen. Norbert Franz mit der Präzision und Klarheit eines Universitätsprofessors, Hans-Jürgen Müller mit dem riesigen Fundus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Agrarpolitiker. Seine Hintergrunderfahrungen und mitunter Anekdoten würzten den gemeinsamen Vortrag.

Formal ist das über 500 Seiten starke Werk in drei Teile gegliedert. Neben dem schon genannten ersten Teil werden Wege der Transformation erörtert. „Lebenspraktisch“ werden dabei auch Methoden nachhaltiger Landwirtschaft jenseits des ökologischen Landbaus vorgestellt, alternative Formen anderer Länder und Kulturen. Auch Agroforstsysteme werden erläutert.

Schließlich geht es um die Frage einer nachhaltigen industriellen Landwirtschaft. Gleich zu Anfang wird aus dem Kursbuch Agrarwende 2050 von Greenpeace zitiert, in dem eine Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft gefordert wird: Klimaschonende Bewirtschaftung, Erhöhung der biologischen Vielfalt, verringerte Schadstoffeinträge, verbesserte Nutztierhaltung, gentechnikfreie Lebensmittel.

Im letzten Teil über die „zivilgesellschaftlichen Akteure des Wandels“ mögen Lesende gelegentlich stutzen. Etwas salopp wird etwa die umstrittene Figur des Edmund Rehwinkel (u.a. Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, † 1977) behandelt mit einem Zitat von Kiran Klaus Patel: „Gelegentliche Annäherungen Rehwinkels an die NPD blieben Episode“.

Das schmälert aber nicht den hohen Wert des Buches für alle Interessierten im weiten Umfeld der Umwelt- und Klimabewegung. Die Landwirtschaft ist eine wesentliche Stellschraube für die Zukunft der Menschheit. Mit der fast nüchternen Sichtweise des Historikers einerseits und der fundierten Kenntnis des Agrarpolitikers andererseits wird das überdeutlich.

Das spiegelte auch der zweite Teil des Abends wider. Im anschließenden Dialog mit den Gästen wurden viele Positionen deutlich, die wohl als repräsentativ für viele Menschen gelten können. Vom Pessimismus über den augenblicklichen Rollback über den Frust konventioneller Landwirt:innen bis zur kompromisslosen Haltung einer Tierrechtlerin kam alles zur Sprache, was involvierte und/oder am Thema interessierte Menschen bewegt. Dennoch verbreiteten die beiden Autoren in einem Schlussstatement Optimismus. Denn gerade aus der Sicht der Geschichtswissenschaft, die Vergangenheit immer in Abschnitte einteile, könne erkannt werden, dass Entwicklungen nicht unumkehr- oder unveränderbar seien.

Fazit: Unbedingte Leseempfehlung, auch für Menschen mit knappen Zeitressourcen. Denn auch einzelne Abschnitte können gut für sich gelesen werden.

Nachhaltige Landwirtschaft – sichere Ernährung.
Die große Transformation der deutschen Agrarwirtschaft

Metropolis Verlag, Marburg, 2025, ISBN 978-3-7316-1608-5, 48 €