Etwa 30.000 Tonnen Pestizide werden jährlich in Deutschland verkauft. Von Reduktion kann keine Rede sein …
Mit diesem Programm verfolgt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ein ambitioniertes Ziel. Bis zum Jahr 2030 will der Grünen-Politiker den Einsatz von Pestiziden halbieren (als Referenzzeitraum werden die Jahre 2011 bis 2013 zugrunde gelegt).
Nach monatelanger Vorarbeit und einem kontroversen Beteiligungsprozess von verschiedenen Verbänden rund um Landwirtschaft und Umwelt veröffentlichte das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) am 4. September seinen Plan, mit dem nachhaltiger und biodiversitätsschonender Pflanzenschutz mit einem guten Einkommen für die Betriebe und hoher Produktivität in Einklang gebracht werden soll. Man wolle den Weg für alternative Verfahren und neuartige Ansätze ebnen, heißt es in dem Papier. „Es handelt sich um einen Kompromiss, der einen Beitrag leistet, Natur und Artenvielfalt zu schützen“, sagt Cem Özdemir. „Auch in Zukunft sollten Landwirte selbstverständlich in der Lage sein, Pflanzen wo nötig zu schützen und zu behandeln.“
Feste Vorgaben, Verbote und konkrete Wege sucht man vergeblich, das Programm basiert lediglich auf Freiwilligkeit und Kooperation. Man setze auf die landwirtschaftliche Vernunft statt auf Verbote, heißt es aus dem Ministerium.
Wichtige Punkte wie ein verbesserter Schutz unseres Trinkwassers vor Pestiziden wurden komplett aus dem Programm gestrichen, obwohl 80 Prozent unserer Kleingewässer aufgrund der Pestizidbelastung in einem schlechten Zustand sind und Grundwasser stark mit Pestizidrückständen verunreinigt ist. Von einer Pestizid-Abgabe, die Hersteller in einen Topf zahlen, aus dem Maßnahmen für die Artenvielfalt finanziert würden, steht inzwischen nichts mehr im Papier. Nach den Rückmeldungen von über 90 Verbänden wurde der Entwurf noch einmal deutlich überarbeitet. Schon die Namensänderung von ursprünglich „Pestizidreduktions-Programms“ zu nunmehr „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ (ZP) dämpfte die Erwartungen bei den Umweltverbänden, der Inhalt zerschlug ihre Hoffnungen.
Jahr für Jahr gelangen abertausende Tonnen gefährliche Ackergifte in unsere Umwelt, die unserer Gesundheit schaden, Gewässer, Böden und unsere Luft belasten und die Artenvielfalt massiv gefährden. In Deutschland werden jährlich etwa um die 30 000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe verkauft, seit gut 30 Jahren bleibt diese Menge unverändert. Obwohl die Industrie damit wirbt, dass sich mit modernster Technik und Präzisions-Landwirtschaft die Chemikalien reduzieren ließen, kann von einer Verringerung bisher nicht die Rede sein, allen Diskussionen über das Insektensterben zum Trotz.
Und auch Özdemir setzt auf moderne Präzisionstechnik, die zusammen mit pflanzenschutzmittelarmen Anbaumethoden die Menge der chemischen Wirkstoffe senken sollen. Mit mehr finanziellen Anreizen sollen Flächen naturnah bewirtschaftet werden. Unter anderem will er den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent ausbauen. Schließlich würden Bio-Bauern keine Chemie nutzen, sondern setzen auf biologische Mittel. Auch die Forschung an resistenten Pflanzen soll unterstützt werden. Woher dafür die finanziellen Mittel kommen sollen, ist derzeit noch nicht geklärt. Die Haushaltslage im Bund ist kompliziert und angespannt.
Programm ist nicht mehr als ein zahnloser Tiger
Umweltverbände betonen, dass freiwillige Maßnahmen und unverbindliche Ziele des Programms nicht ausreichen, um die gesteckten Pestizidreduktionsziele von 50 Prozent bis 2030 zu erreichen. Agrarlobby und Chemieindustrie würden mit ihren Profitinteressen Ambitionen, konkrete Maßnahmen und messbare Ziele verhindern. Damit werde die schwammige Diskussionsgrundlage noch mehr aufgeweicht und das Artensterben in der Agrarlandschaft ungehindert fortschreiten. Pestizidrückstände im Wasser, in Böden und in Lebensmitteln werden Realität bleiben. Dabei zeigen über 35.000 Bio-Betriebe in Deutschland täglich, dass Landwirtschaft auch ohne chemisch-synthetische Pestizide möglich sei.
Pestizidtranzparenz ist das A und O
Eine wichtige Grundlage für eine wirksame Pestizidreduktion ist die transparente Erfassung aller Spritzdaten. Bisher gibt es in Deutschland kein zentrales öffentliches Pestizideinsatz-Register. Welche Pestizide, wo und in welchen Mengen in unserer Umwelt gelangen, weiß aktuell niemand. Obwohl diese Informationen eigentlich vorliegen, werden sie von den Behörden nicht ausgewertet. Landwirte sind seit 2011 verpflichtet, Informationen zu ihren Pestizideinsätzen aufzuzeichnen. Eine elektronische Erfassung dieser Spritzdaten gibt es jedoch nicht. Lediglich Informationen über die nationalen Verkaufszahlen von Pestizid-Wirkstoffen werden veröffentlicht. Die Auswertung und Veröffentlichung sind auch weiterhin nicht vorgesehen, die Kontrollen dieser Aufzeichnungen finden lediglich stichprobenartig statt (in weniger als einem Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe).
Gerichtsurteile haben längst bestätigt: Die Daten über Pestizideinsätze sind Umweltinformationen, die laut EU-Recht allen Bürgerinnen und Bürgern auf Antrag zugänglich gemacht werden müssen. 78 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass die Aufzeichnungen über den Einsatz von Pestiziden erfasst und veröffentlicht werden.
Ohne Pestizidtransparenz der Spritzdaten fehlen Informationen über die Ausgangslage, ein Erfolg oder Misserfolg ist damit schlecht messbar. Umwelt- und Gesundheitsrisiken können nicht präzise erforscht und bewertet werden. Wasserversorger könnten mit den entsprechenden Daten gezielt nach Rückständen suchen und Schutzmaßnahmen treffen um die Trinkwasserqualität zu garantieren. (mk)
Stellungnahme des BUND zum Zukunftsprogramm Pflanzenschutz: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/umweltgifte/stellungnahme-zukunftsprogramm-pflanzenschutz.pdf
Das Umweltinstitut München fordert ein zentrales Pestizideinsatz-Register in Deutschland. Hier können Sie mitmachen: https://umweltinstitut.org/landwirtschaft/mitmachaktionen/her-mit-den-daten-pestizideinsaetze-offenlegen/